Vorzugsstimmen
Sebastian Kurz, Kanzlerkandidat der ÖVP, hat angekündigt, die Kandidatenliste seiner Partei radikal umzugestalten: Die Kandidatenreihung soll in Zukunft nach einem sogenannten Reißverschlusssystem erfolgen, bei dem auf der Liste einem Mann jeweils eine Frau folgt und umgekehrt. Über den Einzug in den Nationalrat sollen allerdings die erzielten Vorzugsstimmen entscheiden.
Das Modell ist im Grunde die Vorwegnahme einer Wahlrechtsreform auf Bundesebene, für die unsere Parteien bisher nicht den Mut hatten. Genau darin liegt freilich auch das Problem. Kurz wird zunächst ohne rechtliche Schwierigkeiten seine Liste erstellen können. Das Gesetz lässt den Parteien bei der Listenerstellung alle Freiheiten. Ganz abgesehen davon ist auch das Reißverschlusssystem keine neue Erfindung. Welche Abgeordneten dieser Liste schließlich in den Nationalrat gewählt werden, hängt nach dem derzeitigen Wahlrecht allerdings weniger von den erzielten Vorzugsstimmen, als vielmehr vom Platz auf der Liste ab.
Wenn Kurz von diesem System abgehen will, benötigt er eine Gesetzesänderung.
So lange die rechtlichen Grundlagen nicht geschaffen sind, ist er darauf angewiesen, mit allen Wahlwerbern auf seiner Liste die Spielregeln zu vereinbaren und dann zu hoffen, dass sie sich daran halten. Erzwingen kann er einen Verzicht jener Personen, die nach dem bestehenden Wahlrecht gewählt wurden, jedenfalls nicht.
Es soll schon Fälle gegeben haben, in welchen Personen, die auf einer Liste gereiht waren, im Vorhinein eine Verzichtserklärung abgegeben haben (einen sogenannten „Blankoverzicht“), um im Bedarfsfall das Vorrücken anderer Personen in den Nationalrat zu ermöglichen. Eine solche wählertäuschende Vorgehensweise wäre aber wohl verfassungswidrig. Die Wahl könnte mit guten Aussichten auf Erfolg angefochten werden.
So wird also über Kurz oder lang ein echtes, persönlichkeitsorientiertes Wahlrecht die einzige brauchbare Alternative zum jetzigen System sein.
Wenn Kurz von diesem System abgehen will, benötigt er eine Gesetzesänderung.
peter.bussjaeger@vn.at
Peter Bußjäger ist Direktor des Instituts für Föderalismus
und Universitätsprofessor in Innsbruck.
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