“Hysterie wäre falsch”

Vorarlberg / 06.07.2017 • 20:28 Uhr
Referiert heute in Bregenz: Prof. Zekirija Sejdni. Foto: Uni Innsbruck
Referiert heute in Bregenz: Prof. Zekirija Sejdni. Foto: Uni Innsbruck

Islam-Experte sieht die Politisierung einer Religion als beunruhigendes Phänomen.

Bregenz. Prof. Sejdini hält heute um 18 Uhr im Montfortsaal des Landhauses in Bregenz einen Vortrag zum Thema „Islamische Religionspädagogik und ihre Bedeutung für Extremismusprävention und Demokratiekultur“.

Kürzlich wurde in Deutschland eine von Muslimen organisierte Demonstration gegen islamistischen Terror zu einem Megaflop, boykottiert u. a. vom türkischen Verein DITIP. Wie ist das bei Ihnen angekommen?

Sejdini: Diese Demonstration wurde durch eine spontane Aktion von zwei MuslimInnen mitten im Ramadan organisiert und muss daher vor diesem Hintergrund bewertet werden. Ich denke, dass eine solche Aktion viel mehr Vorbereitung und Koordination gebraucht hätte, um die notwendige Resonanz zu erhalten. Das Fernbleiben einiger Vereine sehe ich eher als eine innerislamische Auseinandersetzung um eine Führungsrolle in Deutschland.

Den politischen Islam, mutmaßlich gesteuert von der Türkei, empfinden viele Menschen hier als Bedrohung. Können Sie das nachvollziehen?

Sejdini: Der politische Islam ist nicht unbedingt ein türkisches Exportprodukt, sondern ein globales Phänomen. Die Politisierung einer Religion sollte uns alle beunruhigen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang unsere gemeinsame Antwort auf diese globale Herausforderung. Hysterie wäre die falsche Antwort.

Was hat sich seit Erdogans martialischen Auftritten bei Muslimen in unserem Land verändert? Wie stark ist sein Einfluss?

Sejdini: Dies betrifft einen bestimmten Teil der türkischen Gemeinde und nicht alle österreichischen Muslime. Der Einfluss der türkischen Regierung auf bestimmte Vereine ist sehr groß, was unweigerlich dazu führt, dass diese Vereine nicht selbstständig agieren können und Instruktionen folgen müssen, die politische Ziele verfolgen. Insgesamt ist zu beobachten, dass das gesellschaftliche Klima rauer geworden ist, aber auch, weil wir mit dieser Herausforderung nicht angemessen umgegangen sind.

Warum erheben sich Muslime in Europa nicht deutlich sicht- und hörbar zum Protest gegen jene, die im Namen des Islams Terror ausüben?

Sejdini: Ich glaube, dass die Muslime in Europa einige Male gegen den Terror protestiert haben. Das wurde weniger wahrgenommen als die Gewalttaten selbst. In Wien hat neulich eine Verurteilung der religiösen Gewalt durch ca. 300 österreichische Imame stattgefunden, auch ein starkes Zeichen.

Sind Vereine wie DITIB in Deutschland und ATIB in Österreich der Integration dienlich?

Sejdini: Diese könnten einen Beitrag zur Integration leisten. Dafür müssten sie aber organisatorisch und ideologisch von anderen Organisationen, die im Ausland agieren, unabhängig sein, was zurzeit leider nicht behauptet werden kann.

Wie kann islamische Religionspädagogik zu einer Prävention gegen Extremismus werden?

Sejdini: Indem sie einen kritischen Zugang zur eigenen Religion ermöglicht. Dabei geht es vor allem darum, eine auf die Würde des Menschen gründende islamische Religionspädagogik zu entwickeln, die nicht nur die Gleichwertigkeit aller Menschen in den Vordergrund stellt, sondern auch die eigene Perspektivität erkennen lässt und den Wahrheitsanspruch relativiert, indem sie andere Wahrheiten zulässt.

Die islamische Glaubensgemeinschaft bestimmt in Österreich Inhalte und Pädagogen für den Religionsunterricht. Soll/wird das so bleiben?

Sejdini: Dies gilt für alle in Österreich anerkannten Religionsgemeinschaften, sodass auch die IGGÖ davon Gebrauch machen wird. Ich würde mir jedoch wünschen, dass das zuständige Ministerium Mindeststandards festlegt, die erfüllt werden müssten, um als ReligionslehrerIn eingestellt zu werden.

Die IGGÖ hat sich im vergangenen Jahr geweigert, in Vorarlberg einen Islamlehrer wegen seiner diskriminierenden Haltung gegenüber Frauen von der Schule zu holen. Offiziell ging er dann aus Weiterbildungsgründen. Wie haben Sie das erlebt?

Sejdini: Ich habe mich dazu schon damals geäußert und die IGGÖ aufgefordert, sich diesbezüglich klar zu positionieren. Schon damals habe ich gesagt, dass eine solche Haltung bei einem Lehrer nicht geduldet werden darf.

Warum suchen immer mehr Muslime Zuflucht in einem konservativen Islam?

Sejdini: Eine konkrete Antwort habe ich leider nicht, da mir dazu konkrete Daten fehlen. Allgemein ist jedoch anzunehmen, dass dabei viele Faktoren eine Rolle spielen und sich solche Phänomene nicht monokausal durch die Reduktion auf die Religion erklären lassen.

Sie gelten als aufgeklärter europäischer Muslim mit einem toleranten Weltbild. Wie kann sich eine solche Auslegung des Islams sicht- und erlebbar ausweiten?

Sejdini: Ich denke, dass die Mehrheit der Muslime in Europa aufgeklärt ist und ein tolerantes Weltbild hat. Die Frage ist, wie wir dieser schweigenden Mehrheit eine Stimme verleihen. Die anderen sind leider viel zu laut und bekommen medial viel mehr Aufmerksamkeit, was auch ein Teil des Problems ist. Eine wichtige Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der eigenen Religion bzw. die universitäre Ausbildung der zukünftigen ReligionslehrerInnen, die dann diese theologischen und religionspädagogischen Ansätze an ihre SchülerInnen weitervermitteln würden. Das braucht aber Zeit und Geduld.

Zur Person

Prof. Zekirija Sejdini

Der 43-jährige, aus Mazedonien stammende zweifache Vater hat an der Marmara-Universität in Istanbul islamische Theologie und islamische Philosophie studiert.