Sozialhilfe vor Höchstgericht

Vorarlberg / 08.09.2017 • 22:00 Uhr
Sozialhilfe vor Höchstgericht

Landesvolksanwalt ficht Mindestsicherung vor VfGH an.

Bregenz Die Vorarlberger Mindestsicherungsverordnung wird ein Fall für den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Am Donnerstag reichte Landesvolksanwalt Florian Bachmayr-Heyda einen Antrag auf Verordnungsprüfung ein. Eine entsprechende VN-Anfrage bestätigte VfGH-Sprecher Wolfgang Sablatnig: „Ja, der Antrag ist bei uns eingelangt.“ Bachmayr-Heyda lässt im VN-Gespräch ebenfalls wissen: „Der Antrag hat am Donnerstag unser Haus verlassen.“ Er begründet: „Viele Experten haben rechtliche Bedenken geäußert. Mir geht es darum, dass sich der VfGH mit den Bedenken auseinandersetzt.“

Wie es dazu kam: Im Vorjahr versuchten Bund und Länder vergebens, eine neue Vereinbarung über eine österreichweite Mindestsicherung zu finden. So begann jedes Land, eigene Regeln zu entwerfen. Auch Vorarlberg. Die neue Verordnung trat am 1. Juli dieses Jahres in Kraft. Sie erleichtert die Vergabe von Sachleistungen und führt pauschale Höchstsätze im Wohnbereich ein. Asyl- und Schutzberechtigte sollen durch einen Kniff beim Wohnbedarf zwei Jahre in einem Grundversorgungsquartier bleiben. Schon Anfang 2017 führte das Land einen WG-Tarif ein. WG-Bewohner erhalten weniger als Alleinwohnende.

Der Landesvolksanwalt hat bereits Ende Juni verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Bedenken angemeldet. Über den Sommer ließ er den Wohnungsmarkt untersuchen. Fazit: „Mit den Höchstgrenzen geht es sich so gut wie nie aus, eine Wohnung zu finden.“ Laut der neuen Verordnung müssen Mindestsicherungsbezieher, deren Miete über der Höchstgrenze liegt, die Differenz aus ihrem Lebensunterhalt bezahlen. „Das Ziel der Mindestsicherung ist es, den Menschen die soziale Teilhabe zu ermöglichen. Wird der Lebensunterhalt gekürzt, bleibt zu wenig zum Leben und damit die Teilhabe verwehrt“, meint Bachmayr-Heyda. Dadurch könnte sie verfassungswidrig sein. Sehr bedenklich werde es, wenn die Staffelung von Lebensunterhalt und Wohnungsaufwendung zusammen eine Reduktion von über 20 Prozent ergäben. Das Höchstgericht habe schon einmal entschieden, dass dies verfassungswidrig sein kann.

Ungleichbehandlung

Die verschiedenen WG-Tarife wiederum könnten gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. „Es ist sachlich nicht begründet, weshalb ein WG-Bewohner weniger Hilfe erhält als ein Alleinstehender. Das Leben ist nicht günstiger.“ In einer WG werde selten gemeinsam gekocht und eingekauft. Dies sei erst in einer Bedarfsgemeinschaft der Fall.

Auch die Sonderregel für Asylberechtigte beschreibt Bachmayr-Heyda als „verfassungsrechtlich bedenklich“. Zwar dürfen sie ihr Grundversorgungsquartier verlassen, erhalten dann aber 280 Euro für den Wohnbedarf. Kürzlich hat der Verfassungsgerichtshof in Niederösterreich entschieden, dass zumindest subsidiär Schutzberechtigte schlechtergestellt werden dürfen, solange sie Kernleistungen der Grundversorgung erhalten. VfGH-Sprecher Sablatnig betont aber: „Die Regeln in den Bundesländern sind nicht vergleichbar.“ Auch eine Beschwerde aus Oberösterreich sei anhängig.

Bis zu einer Entscheidung wird es wohl noch einige Monate dauern. „Ich wünsche mir eine rechtliche Klarstellung, gerade für den Fall, dass nach der Wahl eine österreichweite Lösung diskutiert wird“, sagt Bachmayr-Heyda. Ihm gehe es um Rechtssicherheit.

„Mit den Höchstgrenzen geht es sich so gut wie nie aus, eine Wohnung zu finden.“

Mindestsicherung

Im Juni 2017 erhielten 3953 Haushalte mit insgesamt 9516 Haushaltsmitgliedern Leistungen aus der Mindestsicherung. 41,1 Prozent der Mitglieder waren österreichische Staatsbürger. Von 3953 Haushalten entfielen 1063 auf Konventionsflüchtlinge.

3.636.531 Euro gab das Land an Mindestsicherung in diesem Monat aus, davon gingen 1.589.241 Euro an Konventionsflüchtlinge und 335.496 an subsidiär Schutzberechtigte.

Von Jänner bis Juni gab das Land 21.416.067 Euro für Mindestsicherung aus, davon gingen 7.259.207 an Österreicher, 14.156.860 an andere.

Durchschnittliche Bezugsdauer beträgt sechs Monate, der Durchschnittsbezug je Haushalt 867 Euro.