Ein Satz mit schwerwiegenden Folgen

Vorarlberg / 27.10.2017 • 21:36 Uhr
„Mensch ärgere dich nicht“ lautet auch das Motto für die Familie Fritz bei der Wohnbeihilfe. VN/Paulitsch
„Mensch ärgere dich nicht“ lautet auch das Motto für die Familie Fritz bei der Wohnbeihilfe. VN/Paulitsch

Alleinerzieherin erhält wegen einer neuen Richtlinie 170 Euro weniger Wohnbeihilfe.

Lauterach 170 Euro sind viel Geld. Eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern kann damit mehrere Einkäufe für die ganze Familie erledigen. Zu Schulbeginn können 170 Euro besonders nötig sein. Oder wie wär’s mit einem Schwimmkurs für die Kleinen? Melanie Fritz aus Lauterach ist Alleinerzieherin von zwei Kindern. Ihr Sohn Noah ist zehn Jahre alt, ihre Tochter Miriam ist sieben. Melanie Fritz arbeitet Teilzeit, bald beginnt sie als Mitarbeiterin im Call-Center. „Ich möchte nicht jammern. Außerdem will ich ja arbeiten und selbst für mich und meine Kinder sorgen“, betont die 30-Jährige. Ohne staatliche Hilfe hat es eine alleinerziehende Mutter im Hochpreisland Vorarlberg aber schwer. Das Land greift Familien unter die Arme, die Wohnbeihilfe soll beispielsweise helfen, eine vernünftige Bleibe zu finden.

Plötzlich weniger

Deren Berechnung ist kompliziert. Die Höhe ergibt sich aus einem anrechenbaren Wohnungsaufwand abzüglich dem zumutbaren Wohnungsaufwand, abhängig von der Zahl der Haushaltsmitglieder und der Einkommenshöhe. Kurzum: Melane Fritz erhielt bis Ende Juni 410 Euro und 55 Cent Wohnbeihilfe. Um die Beihilfe muss immer wieder neu angesucht werden. Die Lauter­acherin tat dies, worauf sie folgenden Bescheid erhielt: „Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie ab Juli 2017 Wohnbeihilfe in Höhe von monatlich 241,57 Euro erhalten.“ Also plötzlich rund 170 Euro weniger. Von der zuständigen Stelle erhielt sie die Information, dass ein Freibetrag gestrichen wurde.

Und tatsächlich: In der Wohnbeihilferichtlinie 2016 findet sich folgender Passus: „Unterhalts- und Alimentationszahlungen für Kinder werden bis zu einem Betrag von 150 Euro bei der Berechnung des Einkommens nicht berücksichtigt.“ In der Richtlinie 2017 fehlt dieser Satz; für Frauen wie Melanie Fritz eine folgenreiche Streichung.

Michael Diettrich von der Armutskonferenz sind mehrere solche Fälle bekannt, wie er auf VN-Nachfrage erklärt. Der Grund für die Streichung: Durch den Freibetrag bei Alimenten wären Familien, in denen ein Partner den anderen Partner und die Kinder unterhält, schlechtergestellt. Außerdem ist nicht nur bei der Empfängerin der Freibetrag abgezogen worden, sondern auch beim Bezahler, wenn es um die Berechnung von Sozialleistungen geht. Also doppelt. ÖVP-Wohnbausprecher Albert Hofer betont, sich zu diesem Einzelfall aus Mangel an Information nicht äußern zu können. Grundsätzlich gebe es aber beide Seiten. „In manchen Fällen wird ein Teil des Einkommens verschwiegen, um an eine höhere Wohnbeihilfe zu kommen.“ Er fordert deshalb eine Transparenzdatenbank aller Sozialhilfeträger. Einige Punkte in der aktuellen Richtlinie seien zumindest diskussionswürdig. So werde das Einkommen eines Lehrlings bis 700 Euro nicht eingerechnet, was er grundsätzlich verstehen könne. Aber: „Wenn in einem Haushalt zwei Lehrlinge jeweils 700 Euro verdienen und die Mutter auch etwas, wird sich die Familie schon eine Wohnung leisten können.“

Komplette Überarbeitung

Für Melanie Fritz könnte sich bald einiges ändern. Die Landesregierung arbeitet an einer neuen Richtlinie für 2018. Die zuständige Arbeitsgruppe mit Experten und Politikern hat sich bereits mehrfach getroffen. Die Armutskonferenz hat ihren Vorschlag auch schon präsentiert. Michael Diettrich erläutert: „Derzeit kann man kaum nachvollziehen, weshalb etwas eingerechnet wird und etwas anderes nicht.“ Er würde einfach alles zum Einkommen zählen, die Einkommensgrenzen für die Beihilfe allerdings deutlich anheben. „Derzeit ist alles eine reine Flickschusterei“, resümiert Diettrich.

Die Arbeitsgruppe hat bereits einen Vorschlag vorgelegt. Die Wohnbausprecherin der Grünen, Nina Tomaselli, ist nicht zufrieden: „Mein Vorschlag hätte das System komplett geändert und die Verwaltung wäre viel einfacher geworden.“ Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen. Melanie Fritz wird es am Ende egal sein, wie die Struktur der Beihilfe aussieht. Auf die unverhoffte Reduktion um 170 Euro kann sie aber sicher verzichten. Denn
170 Euro sind viel Geld.

„Derzeit kann man kaum nachvollziehen, weshalb etwas eingerechnet wird und etwas anderes nicht.“

Ein Satz mit schwerwiegenden Folgen