Bürger an die Macht

Vorarlberg / 09.05.2018 • 20:44 Uhr
Bürgerräte statt Bundesrat: Narval will die Demokratie stärken. Pungovschi
Bürgerräte statt Bundesrat: Narval will die Demokratie stärken. Pungovschi

Forum-Alpbach-Geschäftsführer Philippe Narval plädiert für ein Bürgerparlament.

Schwarzach Philippe Narval begab sich für sein Buch auf die Reise, um Beispiele für gelebte Demokratie zu sammeln. Er fand sie u. a. in Irland, wo ausgeloste Bürgerräte das Parlament unterstützten, und in Mäder. Dort werden Kinder schon im Kindergarten in wichtige Fragen eingebunden.

 

Was können wir von Mäder lernen?

Narval Dass Politik besser mit den Bürgern gemacht wird als gegen sie, und dass man Bürgern mehr Vertrauen schenken soll. Es gibt nicht nur eine Politikverdrossenheit und Misstrauen gegenüber der Politik, sondern auch ein Misstrauen gegenüber den einfachen Bürgern.

 

Ein Misstrauen der Politik?

Narval Ja, die Politik setzt oft zu wenig Vertrauen in das Wissen und die Ideen der Bürger. Die Gemeinde Mäder, der ein Kapitel im Buch gewidmet ist, ist ja nur ein Beispiel für andere Gemeinden in Vorarlberg, die erkannt haben, dass Beteiligung eine Chance ist. Der Anfang kann mühsam sein, aber es zahlt sich langfristig aus, auf Beteiligung zu setzen. Der demokratische Kindergarten in Mäder zeigt, dass die Stärkung der Demokratie breiter gedacht werden muss. Dort wird es vorgelebt, mit einer eigenen Verfassung, mit einem Morgenkreis, in dem über den Tagesablauf entschieden wird, und indem die Kinder mehr Verantwortung für die Umsetzung ihrer Vorschläge übernehmen.

 

Wie schwierig ist das?

Narval Am Anfang mag es erstaunlich sein, weil man denkt, dass Kinder mit so etwas überfordert wären. Sie lernen, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen. Das ist dann vielleicht ein bisschen ungewohnt, weil Eltern plötzlich selbstbewusste Kinder vor sich haben, die mitreden möchten. Aber es ist der Grundstein des Engagements.

 

Sie bezeichnen in Ihrem Buch Bürgerbeteiligung auch als Mittel gegen Populismus. Wie meinen Sie das?

Narval Statt Populismus zu verteufeln und alle Bürger in einen Topf zu werfen, kann man sich fragen, was dahintersteckt. Viele Bürger haben oft das Gefühl, keinen reinen Wein eingeschenkt zu bekommen. Beteiligungsprozesse und weitere Formen der Teilhabe können dem entgegenwirken. Sie schaffen Transparenz, ermöglichen Einblick in komplexe Entscheidungen und stärken das Verständnis für Kompromisse.

 

Sie loben auch die Bürgerräte.

Narval Das irische Beispiel hat gezeigt, dass durch solche Formate Stimmen außerhalb der typischen Interessenspolitik zu Wort kommen. Oft blicken Bürger auf die Politik und sehen, dass vor allem die besser organisierten Interessensgruppen gehört werden. Diejenigen, die nicht so gut organisiert sind, wie Obdachlose oder Menschen mit geistiger Behinderung, kommen nicht zu Wort.

 

Was schlagen Sie konkret vor?

Narval Die Demokratie muss stetig weiterentwickelt werden. Bürger einzubeziehen, schafft oft zukunftsfähigere Lösungen. Schauen Sie sich die Strategien gegen den Klimawandel an. Die irische Bürgerversammlung hat im Auftrag des Parlaments Empfehlungen erarbeitet, die weit über das hinausgehen, was die Politik dem Land zugetraut hätte. Die österreichische Klimastrategie, ohne Einbeziehung der Bevölkerung am Reißbrett des Ministerbüros entstanden, ist hingegen nicht ambitioniert und eher mutlos.

 

Ein Bürgerparlament für Österreich?

Narval Politik ist getrieben von kurzfristigen Entscheidungen, die auf das Gewinnen von Wahlen abzielen. Bürgerräte könnten eine echte Bereicherung sein. Sie würden sich wie in Irland alle zwei Jahre erneuern und sich nicht schrecken, unangenehme Lösungen zu finden. Ein Bürgerrat könnte etwa Gesetzesvorschläge auf deren Zukunftsfähigkeit prüfen. Wenn nun jemand argumentiert, ein solcher Rat koste zu viel, dann kann ich versichern, dass er nur einen Bruchteil dessen ausmacht, was neun Landtage und der Bundesrat jährlich kosten, und sicher mehr brächte als diese Gremien zusammen.

Zur Person

Philippe Narval

Autor, Geschäftsführer des europäischen Forums Alpbach

Geboren 1. November 1977

Laufbahn Schulbildung in Kanada, anschließend Bakkalaureatsstudium am King’s College in London und Masterstudium in Oxford