Brandgefährlich
Am 1. September 1933 beschloss die Regierung Dollfuß eine Verordnung über „die Verhaltung sicherheitsgefährdender Personen zum Aufenthalt in einem bestimmten Ort oder Gebiet“. Menschen konnten somit eingesperrt werden, auch wenn sie keine Straftat begangen hatten. Innenminister Kickl hat ähnliche Ideen. Die „illiberale Demokratie“ nach Vorbild Viktor Orbáns lässt grüßen.
Verfassungsrechtler wie Bernd-Christian Funk sind entsetzt und sprechen von Plänen, die „für Diktaturen charakteristisch“ sind. Für Rupert Wolff, den Präsidenten der Rechtsanwaltskammer, sind die Kickl-Pläne „brandgefährlich“, und Kardinal Christoph Schönborn und die Österreichische Bischofskonferenz warnen vor „unabsehbaren Folgen“.
Auch Österreichs prominentester Gutachter, der Psychiater Reinhard Haller warnt im Interview mit dem ORF: Eine „seriöse Gefährdungsprognose“ sei nicht möglich, ähnliche Pläne seien in der NS-Zeit verwirklicht worden und hätten „großes Unheil“ zur Folge gehabt.
Doch der Innenminister ist nicht allein. Sebastian Kurz befürwortet Kickls Pläne, und kaum ein in der ÖVP verbliebener Schwarzer traut sich aufzumucken. Nur vereinzelt gibt es Kritik oder gar Parteiaustritte – etwa in Salzburg, wo der ehemalige Landeshauptmann-Stellvertreter Arno Gasteiger („Die ÖVP ist eine rechtspopulistische Bewegung geworden“) und ein Ex-Bürgermeister („Arno, ich geh mit dir“) ihren Parteiaustritt erklärt haben.
„Sebastian Kurz befürwortet Kickls Pläne, und kaum ein in der ÖVP verbliebener Schwarzer traut sich aufzumucken.“
Und die SPÖ? Parteikaliber wie der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil und der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig können den Plänen des Innenministers nicht nur einiges abgewinnen, sie setzen gleich noch eins drauf. Während Kickl die „Präventivhaft“ vor allem für Asylsuchende im Auge hat, wollen Ludwig und Dokozil sie auch für Inländer. Parteichefin Pamela Rendi-Wagner vermeidet klare Ansagen und will es allen recht machen.
Hat die größte Oppositionspartei nichts aus der eigenen Geschichte gelernt? Immerhin waren doch viele ihrer prominenten Parteigranden – etwa Bruno Kreisky – im Austrofaschismus und in der NS-Zeit als „Schutzhäftlinge“ selbst Opfer genau solch weitreichender staatlicher Möglichkeiten.
Kickl, Strache & Co. reiben sich die Hände und treiben die Unterminierung des liberalen Rechtsstaates systematisch weiter. „In diese Richtung gegen wir Schritt für Schritt“, kündigte der Innenminister letzte Woche an.
Ein Blick in die Geschichtsbücher würde jenen, denen die Demokratie am Herzen liegt, nicht schaden. Denn was Dollfuß 1933 beschließen ließ und Kickl 2019 beschließen lassen möchte, wird in einem Satz, der dem früheren amerikanischen Staatsmann Benjamin Franklin zugeschrieben wird, konterkariert: „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.“
Harald Walser ist Historiker, ehemaliger Abgeordneter zum Nationalrat und AHS-Direktor.
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