„Kirche entvölkert sich völlig lautlos“

Stärker noch als die Zahl der Katholiken geht die der Gottesdienstbesucher zurück.
SCHWARZACH Jahr für Jahr gibt es schlechte Nachrichten für die katholische Kirche: Unter anderem Austritte führen dazu, dass die Zahl ihrer Mitglieder mehr oder weniger kontinuierlich zurückgeht. Es gibt jedoch eine Entwicklung, die im Grunde genommen noch empfindlicher ist für sie, wie der Pastoraltheologe Paul Zulehner (80) im Gespräch mit den VN bestätigt: das ist die des schwindenden Gottdesdienstbesuchs.
„Viele Frauen akzeptieren nicht mehr, dass sie in der alten Männerkirche nur die zweite Geige spielen.“
Paul Zulehner, Theologe
Und zwar bundesweit und mit einer bemerkenswert übereinstimmenden Tendenz nach Diözesen: In ganz Österreich ist die Zahl der Katholiken seit 2003 um 15 Prozent auf rund fünf Millionen gesunken und in Vorarlberg allein um 14 Prozent auf knapp 230.000 im vergangenen Jahr. Die Zahl der Kirchenbesucher, die an einem Sonntag in der Fastenzeit erfasst wird, ist dagegen um mehr als ein Drittel zurückgegangen. Diese Daten werden erst mit einiger Verzögerung veröffentlicht und unterliegen leichten Schwankungen. Die Richtung ist jedoch eindeutig. 2018 wurden für die Diözese Feldkirch nur noch 24.973 Messbesucher ausgewiesen; das waren um 35 Prozent weniger als 2003.
Paul Zulehner hat ein Buch geschrieben, das unter dem Titel „Religionen und Kirchen inmitten kultureller Transformation“ im März erscheint, und in dem er sich näher mit diesem Phänomen beschäftigt. Wobei ihm eine Änderung nach Geschlecht besonders ins Auge gestochen ist, wie er berichtet: „Bisher sind immer mehr Frauen als Männer regelmäßig zum Gottesdienst gegangen.“ Bei Jüngeren habe sich das nun jedoch gedreht. Seine Erklärung: Viele Frauen würden nicht mehr akzeptieren, „dass sie in der alten Männerkirche nur die zweite Geige spielen“.

Die Konsequenzen könnten fatal werden, wie Zulehner befürchtet: Kinder würden über die Erziehung noch immer eher von den Müttern geprägt werden. Sprich: Wenn sie nicht mehr in die Kirche gehen, dann würden auch ihre Kinder kaum noch damit anfangen. Ergebnis: „Die Kirche entvölkert sich völlig lautlos“, so Zulehner.
Freilich: Bis zum Kirchenaustritt ist es nach Einschätzung des bekannten Theologen ein längerer Weg. Zum einen stellt er fest, dass Rituale wie Taufen und Hochzeiten weiterhin gerne gepflegt werden und dass der Kirchgang zu Weihnachten in diesem Sinne zum Teil sogar zunimmt. Zum anderen ist er überzeugt davon, dass „die Leute an gewöhnlichen Sonntagen nicht wegbleiben, weil sie keinen Gottesdienst feiern wollen, sondern weil sie mit dieser Form nichts anfangen können“.
„Wir leben in einem Umbruch“, analysiert Zulehner: Die Zugehörigkeit zur Kirche werde nicht mehr als Schicksal wahrgenommen, aus dem es kein Entrinnen gibt. Also müsse es der Kirche gelingen, die Menschen für eine persönliche Entscheidung zum Evangelium zu gewinnen bzw. für einen liebenden Gott und die Hoffnung, dass es ein Leben nach dem Tod gebe. Genau darin liege im Übrigen auch die Funktion eines regelmäßigen Gottesdienstbesuches in einer lebendigen Gemeinde; er trage dazu bei.