Reinhard Haller

Kommentar

Reinhard Haller

Hass – das böse Gefühl

Vorarlberg / 05.03.2020 • 06:30 Uhr

Hassparolen, Hasskommentare, Hasstiraden und Hassmails überfluten unsere Gesellschaft. Allein die neue Justizministerin wurde seit ihrem Amtsantritt mit mehr als 25.000 Hasspostings von strafrechtlicher Relevanz attackiert. Der Hass im Internet ist nicht mehr zu bändigen, die Hasskriminalität nimmt zu, Hassprediger sind zum Feindbild geworden und über allem schwebt eine Ideologie des Hasses. Hass, wohin man schaut, Hass, was man liest und Hass, was man fürchtet.

„Hass beinhaltet immer das Verlangen, sich zu rächen und dem andern zu schaden.“

Wenn der Ausdruck Hass in der medialen Berichterstattung immer häufiger aufscheint und zum Hauptinhalt öffentlicher Diskussion geworden ist, kann man dies nicht mit der inflationären Verwendung des Begriffs abtun, sondern gibt Anlass zur Besorgnis. Denn von allen Emotionen ist Hass die gefährlichste. Während alle andern negativen Gefühle auch positive Seiten haben, ist Hass nur böse. Wut führt zur Frustrationsabfuhr, Rache dient dem Ausgleich, Neid steigert die Leistungsfähigkeit. Nicht so der Hass, an ihm ist nichts Positives zu finden. Deshalb wird er als kalt, heimtückisch, blind und zerstörerisch empfunden. Hass ist mehr rational als emotional, er geht nicht vorbei wie der Zorn. Man kann sich von ihm nicht distanzieren, er nimmt die ganze Persönlichkeit gefangen. Er lässt sich schüren wie Feuer, er nagt an der Seele, er zerfrisst den ganzen Menschen mit Haut und Haar.
Hass lässt sich nur schwer erklären. Wenn ihn Psychologen auf tiefe seelische Verletzungen und schmerzhafte Verlusterfahrungen zurückführen, liefern sie nur einen Teilaspekt. Hass ist mehr als das Gegenteil von Liebe und nicht nur ein Gefühl extremer Abneigung gegenüber anderen Menschen oder Institutionen. Hass beinhaltet immer das Verlangen, sich zu rächen und dem anderen zu schaden. Dies führt unweigerlich zu unkontrollierter Aggressivität, die zuletzt nicht einmal vor der eigenen Person Halt macht: Fremdhass wird letztlich zum Selbsthass.

Noch schwieriger ist es, den Hass zu bekämpfen. Er ist das böse Gefühl schlechthin, böse für die gesellschaftliche Stimmung, böse für die Mitmenschen, böse für die Hassenden. Man soll den Hass nicht heraufbeschwören, indem man jeglichen Widerspruch oder alle Ausdrücke der Verärgerung und des Protestes als Hass bezeichnet. Wohl aber ist es wichtig, jede Form des Hasses in der Gesellschaft sensibel wahrzunehmen und eine aufkommende Hasskultur in den Anfängen zu unterbinden. Denn wie hat der große Mahatma Gandhi gesagt: „Wo Liebe wächst, gedeiht Leben, wo Hass aufkommt, droht Untergang.“

Univ.-Prof. Prim. Dr. Reinhard Haller ist Psychiater, Psychotherapeut und früherer Chefarzt des Krankenhauses Maria Ebene.