Es ist das Ungewisse, das zermürbt
Man würde gern wieder über etwas anderes nachdenken, reden oder schreiben als die Corona-Krise, aber: unmöglich. Immerhin ist es schön, dass es seit gestern einen Silberstreifen am Horizont gibt. Diese Maßnahmen sind für so viele Menschen so schwierig, für manche schlichtweg existenzbedrohend.
Die Freundin am Telefon, die zu weinen begann vor lauter Erschöpfung: Ihr Laden ist geschlossen, ihre Angestellten auf Kurzarbeit und statt dem üblichen Ladengeschäft macht sie jetzt Online-Versandhandel, und das bedeutet Arbeit rund um die Uhr: Die Waren, die sonst über den Ladentisch gehen, müssen mit Rechnung verpackt, per Post verschickt, mit Auto oder Fahrrädern zugestellt werden, hunderte Mails sind zu beantworten. Meine Freundin ist schon so die tüchtigste Person, die ich kenne, aber sie sagte, dass sie jetzt sieben Tage die Woche von sieben Uhr früh bis nach Mitternacht arbeitet: Ich kann nicht mehr, sagte sie, ich kann nicht mehr.
„Die Frau, die wegen Corona ihren Job verloren hat: Sie sagte, sie bekommt ihn vielleicht nachher zurück, vielleicht auch nicht.“
Die Mutter von zwei kleinen Kindern, die mir schrieb, dass es mit Kindern, Arbeit und Haushalt vorher schon anstrengend genug war, aber jetzt ist ihr Mann in Kurzarbeit, sie macht Teleworking von zuhause und muss nebenbei ihre Kinder unterrichten. Darunter einen Achtjährigen, der seine Großeltern, „die Schule und seine Freunde so vermisst, dass es beim Zusehen weh tut“; das Kind fange an zu bröckeln, sagt die Frau, und es tut mir beim Lesen auch weh.
All die Kinder, die von ihren Lehrerinnen und Lehrern gar nicht erreicht werden können, weil sie keine Computer haben, aus bildungsferneren Haushalten, oft mit fremdsprachigen Eltern stammen und derzeit gar nichts lernen, außer, wie es ist, den ganzen Tag auf ihre kleineren Geschwister aufpassen zu müssen.
Die Frau, die wegen Corona ihren Job verloren hat: Sie sagte, sie bekommt ihn vielleicht nachher zurück, vielleicht auch nicht.
Auch wenn wohl den meisten die Unvermeidlichkeit dieses strenge Kontaktverbots klar ist: Vielen Menschen fällt es gerade sehr schwer, an dieser ganzen Situation irgenetwas Gutes zu finden. Deshalb ist es so wichtig, dass man weiß, dass man garantiert bekommt: es wird besser, in einer absehbarer Zeit, nach einem überschaubaren Zeitrahmen. Das Ungewisse, die Unabschätzbarkeit: das zermürbt. Und selbst wenn man wenige persönliche Einschränkungen verkraften muss, wenn es einem vergleichsweise gut geht: das Abschneiden von gewohnten Freiheiten, das Aufgeben müssen von Rechten, die wir bisher als gegeben, als unumstößlich einbetoniert betrachtet haben: Das ist beängstigend, das ist hart.
Ich führe eine Liste all dieser Freiheiten, die ich momentan aufgeben muss: Und ich möchte sie zurück, wenn das vorbei ist, garantiert.
Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.
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