Straft Gott uns mit der Coronavirus-Pandemie?

Vorarlberg / 10.04.2020 • 07:00 Uhr
Straft Gott uns mit der Coronavirus-Pandemie?
Die VN sprachen anlässlich des Osterfestes mit dem bekannten Pastoraltheologen Paul Zulehner.

Jesus litt und starb am Kreuz. Auch wir leiden. Ein Gespräch mit Pastoraltheologe Paul Zulehner über den Sinn des Leids.

Wien/Schwarzach Für den bekannten Pastoraltheologen Paul Zulehner (81) ist Ostern nicht nur das Fest der Auferstehung des umgebrachten Jesus, sondern von uns allen.

Gott ist Liebe, behaupten die Mystiker. Warum ist dann seine Schöpfung, die Welt, voller Leid?

Zulehner Die Frage nach dem Leid hat – mit Blick auf Gott – die Menschen immer schon bewegt. Ganz besonders wurde sie nach dem katastrophalen Erdbeben 1906 in San Francisco gestellt. 3000 Menschen starben, über 200.000 wurden verletzt. Ebenso viele waren obdachlos. Auf einen Schlag. Viele starben während der Gottesdienste in den zerstörten Kirchen. Ein anklagendes „Warum Gott?“ ging um die Welt. Ganz bedrängend meldete sich die Frage nach dem Leid auch nach dem Holocaust zurück. Jüdische Rabbiner sollen angesichts der Vernichtung ihres Volkes im Ghetto von Warschau gebetet haben: „Gott, Du bist schuldig. Also lasset uns anbeten!“ Immer wieder halten manche Unerleuchtete solche fürchterlichen Ereignisse für eine Strafe Gottes. Auch heute in der Bedrängnis der Coronavirus-Pandemie. Aber diese Antwort trägt nicht wirklich. Große Theologen wir Romano Guardini oder Karl Rahner sagten am Ende ihres Lebens vielmehr ratlos: „Wenn ich bei Gott ankomme, werde ich ihn als Erstes fragen: „Warum mussten so viele Unschuldige leiden?“

Eine hochbetagte Frau sagte einmal zu mir: „Nur durch Leid wird man reif.“ Glauben Sie auch, dass Leid nicht sinnlos ist?

Zulehner Lebensweise Menschen machen tatsächlich die Erfahrung, im Leid menschlich gewachsen zu sein. Der Mystiker Richard Rohr schrieb dieser Tage: „Nur die große Liebe und das große Leid lassen uns das Leben und damit Gott erahnen. Die im Leben Erfahrenen haben verstanden, dass alles zwei Seiten haben muss: kein Leben ohne Tod, keine Auferstehung ohne Sterben, kein Tag ohne Nacht. Und nicht zuletzt: keine Liebe ohne Leid.

Auch Jesus litt am Kreuz, fühlte sich von Gott verlassen. Letztlich ergab er sich seinem Schicksal und begab sich in die Hände Gottes. Tun auch wir gut daran, uns zu ergeben und den Willen Gottes voll und ganz anzunehmen?

Zulehner Natürlich macht es für mich Sinn, mich nach dem Beispiel Jesu in das Unvermeidbare zu ergeben. Es bringt nichts, mich dagegen zu wehren, alt zu werden und am Ende zu sterben. Dennoch habe ich gelernt und rate anderen, sich nicht zu schnell mit dem abzufinden, was wir verändern können. Der Märtyrer des Nationalsozialismus Dietrich Bonhoeffer sprach von Ergebung erst nach dem Widerstand. Es gibt nämlich Leid, das von Menschen verursacht wird: das Leid der in der Coronavirus-Bedrängnis vergessenen Flüchtlinge in den Lagern Griechenlands zum Beispiel oder das Leid der vielen Menschen in den armen Regionen, die verhungern und verdursten. Es gibt einen begründeten Aufstand gegen unnötiges Leid. In Hiroshima und Nagasaki starben in kürzester Zeit 100.000 Menschen durch zwei von Menschen abgeworfene Atombomben, weiter 130.000 Menschen an den Spätfolgen der Radioaktivität.

Aufs Kreuz folgt aber die Auferstehung, zumindest glauben das die Christen. Heißt das, dass nicht das Leid und der Tod das letzte Wort haben, sondern die Liebe?

Zulehner Das ist ein alter Traum der Menschen, dass nicht der Tod, sondern die Liebe das letzte Wort hat. Aber ein Drittel der Menschen in Österreich kann dies beim besten Willen nicht glauben. Für sie ist „mit dem Tod definitiv alles aus“. Sie denken wie die alten Griechen, in deren wunderbaren Orpheus-Mythos der liebende Spielmann seine geliebte Eurydike am Ende für immer verliert. Die Kernerzählung der Christen hingegen dreht diese alte depressive Geschichte um. Christus ist auferstanden, die Liebe hat den Tod besiegt. Christen sind zudem davon überzeugt, dass dieser Sieg der Liebe über kleine Tode sich schon jetzt zeigen kann. Ich erlebe das, wenn mir jemand wirklich vergibt, auch wenn ich weiß, dass ich diese Person tief verletzt habe. Ostern ist daher nicht nur das Fest der Auferstehung des umgebrachten Jesus, sondern von uns allen. Wo wir lieben, sind wir nicht mehr im Tod, sondern tragen bleibendes Leben schon jetzt in uns. Das kann uns gelassener und solidarischer machen, auch und gerade in der Coronavirus-Zeit.