Jürgen Weiss

Kommentar

Jürgen Weiss

Lange Fastenzeit

Vorarlberg / 14.04.2020 • 09:00 Uhr

Als die Tragweite der Corona-Pandemie auch bei uns erkennbar wurde, wirkte das wie eine Krebsdiagnose für die ganze Gesellschaft. Das Leben, selbst wenn es bei den meisten aktuell nicht unmittelbar bedroht ist, steht auf dem Kopf. Alles blickt sorgenvoll in die Zukunft und ist verunsichert, ob nicht eine lange Fastenzeit auf uns zukommt. Die Frage, was man von der Zukunft erhoffe, wird von so manchen so beantwortet: Dass es überhaupt eine gibt – zumindest gemessen an den bisherigen Erwartungen. Eine weltweite Krise dieses Ausmaßes hat es bisher noch nie gegeben und nach ihrer Bewältigung wird nichts mehr so sein wie vorher. Sie setzt aber auch unerwartete Energien frei und führt zu einer Entrümpelung – im eigenen Leben wie auch in Wirtschaft und Gesellschaft. Der Reiz weltweiter Vernetzung schwindet, man wird sich des Wertes des eigenen Lebens- und Wirtschaftsraumes wieder mehr bewusst.

„Möge die Übung gelingen.“

Spätestens nach den ersten Nachrichten aus Italien war klar, dass man so rasch wie möglich aus der Gefahrenzone heraus muss. Das ist den Verantwortlichen in Bund und Land bisher gut gelungen. Die Bevölkerung hat auch verstanden, dass in einer solchen Lage zunächst entschlossenes Handeln und nicht bedenkenvolles Abwägen aller Risiken erforderlich ist. Überstrapazieren kann man dieses Verständnis allerdings auch nicht – die Akzeptanz von Bewegungseinschränkungen, geschlossenen Betriebsstätten und Schulen, von Arbeitslosigkeit und sozialem Stress hat ein Ablaufdatum. Daher ist es wichtig, die weiteren Maßnahmen transparent und diskussionsfähig zu treffen, weil jetzt auch die Abwägung von Zielkonflikten notwendig ist. Welches Risiko will man in Kauf nehmen, das mit einer Lockerung von Beschränkungen verbunden ist? Und wenn es, jedenfalls nach dem Beispiel asiatischer Staaten, hilfreich sein kann, Datenschutzbedenken zurückzustellen – ist man dazu bereit? Wie lange können wir es uns überhaupt leisten, das Wirtschaftsleben so zu bremsen, dass mangels Steuereinnahmen letztlich auch die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens infrage steht?

Die notwendige Lockerung so zu dosieren, dass einerseits die an sich unvermeidliche Ausbreitung des Virus medizinisch beherrschbar bleibt und andererseits die finanzielle Leistungsfähigkeit des Staates nicht auf unabsehbare Dauer überstrapaziert, wird die nächste Herausforderung für die Regierung. Möge – wie man in China sagt – die Übung gelingen.

Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.