Recht in Not
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte die Coronakrise souverän kommuniziert. Bis Dienstag dieser Woche. Da sagte er etwas, was er heute vielleicht bereut: Juristen mögen die Gesetze, Verordnungen und Erlässe, die gerade zustande kommen, nicht überinterpretieren. Ob alles auf Punkt und Beistrich stimmig sei, werde der Verfassungsgerichtshof eines Tages entscheiden, wenn sie ohnehin nicht mehr in Kraft sind. Quasi nur noch für die Geschichtsbücher.
„Beschränkungen retten Leben, vernichten aber auch Existenzen. Sie müssen daher gut begründet sein.“
Selbstverständlich muss man die Umstände beachten, unter denen Kurz diese „Message“ von sich gegeben hat: Der extreme Druck, ja die Not und vieles andere mehr. Wie alle anderen Regierungsmitglieder hat Kurz bei seiner Angelobung aber auch erklärt, die Verfassung getreulich zu beobachten und seine Pflichten nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen. Das ist ein wichtiger Punkt. Er gilt gerade jetzt, gerade weil jetzt alles so schwierig ist.
Schwerwiegende Verordnung
Warum? Weil die Entscheidungen der Politik so weitreichende Folgen haben wie sonst nie. Die geltenden Beschränkungen retten Leben, vernichten aber auch Existenzen. Verordnungen sind schicksalsträchtig. Ein simples Beispiel dafür ist jene, wonach Geschäfte bis 400 Quadratmeter Kundenbereich wieder geöffnet sein dürfen und größere nicht. Für den Laden mit 399,5 Quadratmetern ist das vielleicht die Rettung, für den mit 400,5 das Ende: Dauert der gegenwärtige Zustand noch lange an, muss er trotz aller Hilfen zusperren und seine Leute kündigen.
Der Politiker, der diese Grenze zu verantworten hat, ist nicht zu beneiden. Im Gegenteil. Es ist aber seine Pflicht gewesen, die Entscheidung nicht willkürlich, sondern nach bestem Wissen und Gewissen zu treffen und sie unter anderem mit Hilfe von Gesundheits-, aber auch Rechtsexperten ebenso gut zu begründen. Zumindest darauf müssen sich die Geschäftsbesitzer verlassen können. Auch wenn’s nicht einfach ist, nachdem dieselbe Grenze in Deutschland bei 800 Quadratmetern liegt.
Im eigenen Land unerwünscht
Insofern ist es gut, dass Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) die Problematik erkannt hat und sich ab sofort von Juristen beraten lässt. Das sollte Schule machen. Und zwar auch in den Ländern. Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) macht mit einer Verordnung von sich reden, die schlicht verfassungswidrig sein könnte. Zum Neusiedlersee dürfen demnach nur noch Menschen, die bis zu 15 Kilometer entfernt davon leben. Österreicher werden damit ungleich behandelt bzw. der größere Teil von ihnen wird zu Unerwünschten im eigenen Land erklärt. Im Sinne einer wirkungsvollen Covid-19-Bekämpfung hätte Doskozil das auch anders regeln können. Zum Beispiel durch zahlenmäßige Zugangsbeschränkungen zum See oder einfach nur strengere Abstandsregelungen ebendort. So weit hat das Rechtsverständnis des Sozialdemokraten jedoch nicht gereicht.
Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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