Flucht vor dem Virus in den Schrebergarten

Vorarlberg / 22.04.2020 • 14:00 Uhr
Flucht vor dem Virus in den Schrebergarten
Klaus hegt und pflegt seinen geliebten Schrebergarten. Jetzt, da der Maschinenführer in Corona-Kurzarbeit ist, verbringt er noch mehr Zeit im Garten. VN/PHILIPP STEURER

In der Coronazeit haben die Schrebergärten eine noch größere Bedeutung für die Menschen.

Dornbirn Klaus (62) ist nicht allein im Schrebergarten. Seine 20 Gartenzwerge schauen ihm zu, wie er Salat, Tomaten und Gurken anpflanzt. Jetzt, da er wegen der Pandemie in Kurzarbeit ist, ist der Maschinenführer noch häufiger in seinem Schrebergarten anzutreffen als sonst. Hier hat er immer Beschäftigung. Mal gießt er die Setzlinge, mal mäht er Rasen. Zuhause in seiner Stadtwohnung wäre ihm fad. „Mir würde die Decke auf den Kopf fallen.“ Dort könnte er sich nicht einmal ins Freie setzen. Denn: „Meine Zwei-Zimmer-Wohnung hat keinen Balkon.“ Darum schätzt er diesen kleinen Flecken Natur in der Roten Lache immens. Aber das Coronavirus brach auch in seine Schrebergarten-Idylle ein. „Es ist nicht mehr so wie früher. Denn man ist nirgends sicher, auch hier nicht.“ Früher setzte er sich gerne mit seinem 90-jährigen Nachbarn Luis auf ein Bier zusammen. Heute kommuniziert er mit diesem nur noch aus der Ferne, über den Zaun.

Früher kam Klaus mit seinem 90-jährigen Nachbarn Luis auf ein Bier zusammen. Heute ist Kommunikation nur noch aus der Ferne und über den Zaun möglich.
Früher kam Klaus mit seinem 90-jährigen Nachbarn Luis auf ein Bier zusammen. Heute ist Kommunikation nur noch aus der Ferne und über den Zaun möglich.

Auch Herta (65) und ihr Ex-Mann Gottfried (63) halten Abstand. Beide ruhen sich nach getaner Gartenarbeit aus und lassen sich die Sonne ins Gesicht scheinen. „Jetzt in der Coronazeit sind wir öfters hier“, gibt Herta zu. Sie ist froh, dass sie hin und wieder aus ihrer Wohnung rauskommt und mit dem Schrebergarten einen Ort hat, an den sie sich zurückziehen kann. Hier, unter freiem Himmel, hat sie das Gefühl, dass die Welt noch ein Stück weit in Ordnung ist und die Pandemie weit weg ist. Der Rückzug in den Schrebergarten sei aber keine Flucht vor dem Coronavirus, stellt sie klar. Denn sie habe keine Angst vor dem Virus. „Ich habe ein starkes Gottvertrauen. Der Herrgott passt auf mich auf.“ Und selbst wenn die Seuche sie dahinraffen sollte. Der Tod schreckt sie nicht. Als 20-Jährige wäre sie beinahe gestorben. „Ein Auto fuhr mich auf dem Gehsteig nieder.“ Im Zuge des Verkehrsunfalles hatte sie ein Nahtoderlebnis. „Ich bin in ein helles, warmes Licht gegangen.“

Das Coronavirus soll in den Himmel hinauf. Dann kann ich wieder zu Uroma und Uropa gehen.”

Diana, vierjährige Urenkelin von Fritz und Renate

Die 65-Jährige rümpft die Nase. Der Wind trägt vom Nachbarn den Geruch von Farbe herüber. Rentner Fritz (72) verpasst seiner Hütte gerade einen neuen Anstrich. Derweil jätet seine Frau Renate (67) Unkraut. Die Arbeit in ihrem „geliebten Gärtle“ macht beide froh. „Danach gehen wir immer müde und zufrieden heim.“ Aber auch zuhause weiß sich das Ehepaar zu beschäftigen. „Wir spielen Karten und lösen Rätsel.“ Kürzlich schauten sie sich alte und neue Videofilme von den Enkeln und Urenkeln an. Beide sahen sich tief in die Augen, als sie ihre vierjährige Urenkelin Diana sagen hörten: „Das Coronavirus soll in den Himmel hinaufgehen. Dann kann ich wieder zur Uroma und zum Uropa gehen.“ Das Pensionisten-Ehepaar vermisst die Nähe zu seinen Lieben. Keine Umarmung, kein Kuss ist möglich. Das schmerzt. Dass die Pandemie ihre Urlaubspläne durchkreuzt, empfinden sie als weniger tragisch. „Wir wären im August mit unserer Tochter in die Türkei geflogen. Aber ich glaube, das können wir abhaken“, vermutet Fritz, dessen Worte untergehen, weil gerade ein Güterzug vorbeirast.

Mischa und Ingrid schätzen ihren "Flecken Natur" sehr.
Mischa und Ingrid schätzen ihren "Flecken Natur" sehr.

Die Zuggleise verlaufen nahe der Gartenkolonie am Stadtrand von Dornbirn. Mischa (65), dessen Frau Ingrid (61) den Schrebergarten einst von ihrem Vater übernahm, weiß, wie viele Güterzüge am Tag vorbei rattern, denn er ist täglich hier, auch im Winter: „Es sind höchstens fünf.“ Der Pensionist ist Lärm gewöhnt. „Wir leben in einer Wohnung ohne Balkon direkt an einer vielbefahrenen Straße.“ So erklärt sich auch die große Bedeutung, die der Schrebergarten für ihn hat. „Er ist sein Leben,“ bringt es seine Frau Ingrid auf den Punkt. Mischa selbst erklärt seine Leidenschaft für diesen Flecken Erde so: „Es ist für mich Freiheit und Natur.“ Und gerade jetzt, in der Coronazeit, wo man nirgends hingehen kann und alle Gasthäuser und Cafés zugesperrt sind, schätzt er ihn noch mehr. Mischa muss jetzt Gustaf suchen gehen und den Erpel füttern und ihn dann in seine Behausung bringen, damit er nachts vor Füchsen sicher ist.  „Er ist unser Schnecken-Polizist. Gustaf macht seine Arbeit gut. Im Gegensatz zu den anderen haben wir keine Schnecken.“