Wenn wir uns wiedersehen
Mit dem Ende dieser Woche wird immer absehbarer, dass wir jedenfalls die erste Welle der Coronakrise gut gemeistert haben. Klar, da mag eine zweite Welle kommen – ein nochmaliges komplettes Herunterfahren der Republik ist unvorstellbar. Wenn die Politiker heute von “Notbremse” sprechen, meinen sie das: Bei lokalen Ausbrüchen wird es regionale Maßnahmen geben, lokale Lock-Downs. Gemeinden, Bezirke, möglicherweise ein Bundesland. Oder der weitere Lockerungsfahrplan wird verzögert. Diese Unsicherheit bleibt noch geraume Zeit.
Neben dem akuten Krisenmanagement der Gesundheitskrise tritt nun die Bekämpfung der dadurch ausgelösten Wirtschaftskrise in den Fokus. Keiner der gewählten Politiker hat je etwas Vergleichbares erlebt. Eine grundlegende Überarbeitung der in sorgloser Hochkonjunktur vereinbarten Regierungsprogramme ist unausweichlich. Landeshauptmann Markus Wallner hat dies in den VN diese Woche ausgesprochen, vor allem weil mindestens 100 Millionen im Landesbudget fehlen. Vieles wird sich einfach nicht mehr spielen. Wallner konnte sich einen vergleichsweise harmlosen Zuruf nach Wien nicht verkneifen. Die tagelangen Diskussionen nach Wallners Worten offenbaren, wie hoch die Nervosität bei Türkis und Grün hinter den Kulissen ist. Das Bundeskanzleramt fühlte sich gar bemüßigt, eine Erklärung von Kanzler und Vizekanzler zu veröffentlichen, dass niemand an Neuwahlen denke. Das halte ich übrigens für mehr als glaubhaft, Neuwahlen würden zum jetzigen Zeitpunkt niemandem nützen. Und der Vorarlberger Landeshauptmann hat auch nichts davon gefordert. Aber Wallner kennt jetzt die sicherste Methode, binnen Minuten ganz nach oben auf die Telefonliste von Kanzleramt und Koalitionspartner zu kommen.
Neben politischem Innengeplänkel geht es für die Menschen im Land um ganz anderes: Die sozialen Distanzierungsmaßnahmen rauben uns ein menschliches Grundbedürfnis: Nähe. Seit den frühen Märztagen niemandem mehr die Hand geschüttelt, Umarmungen undenkbar. Eine Gesellschaft, in der körperliche Nähe weitgehend verboten, möglichst große Distanz gesetzlich vorgeschrieben ist und die Polizei straft, wenn man sich zu nahe kommt – bis vor acht, neun Wochen schlichtweg außerhalb des Vorstellbaren. Da stehen wir nun, mit der selbst genähten Gesichtsmaske vor dem Mund und dem restlichen Hände-Desinfektionsgel in der Tasche und blicken mit wachsender Beruhigung auf die Infektionszahlen und mit wachsender Beunruhigung auf die Wirtschaftsprognosen. Die Ausgangsbeschränkungen bröckeln, das spüren alle, die auf den Straßen unterwegs sind. Bis Ende April gelten eigentlich noch die von der Regierung im Eilverfahren erlassenen Verbote. Weiterhin sollten wir unsere eigenen vier Wände nur zum Zweck der Berufsausübung, für dringende Besorgungen für einen selbst oder für Hilfsbedürftige sowie für Spaziergänge oder Sport verlassen. Spätestens ab kommendem Freitag muss uns dann der eigene Hausverstand leiten. Wie viel Abstand halten wir, wie viel Nähe riskieren wir?
Die nächste große Bewährungsprobe für uns als Gesellschaft wird jedoch nicht die Schulöffnung, sondern der 1. Mai, für manche wohl auch der Muttertag zehn Tage später. Da kann jeder im Familienkreis Fakten schaffen, wie wir die kommenden Monate miteinander verantwortungsvoll umgehen. Der 1. Mai ist jener Tag, an dem wir uns wiedersehen.
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