Kleiner Grenzverkehr
Der harmlose Begriff „kleiner Grenzverkehr“ hat eine etwas zwielichtige Geschichte: Die Nazis verhängten 1933 eine sogenannte 1000-Mark-Sperre, um den österreichischen Fremdenverkehr massiv zu schädigen, was auch gelang. Deutsche, die nach Österreich reisen wollten, mussten in Deutschland 1000 Mark deponieren, was sich nur wenige leisten konnten. Ausgenommen war nur der „kleine Grenzverkehr“ mit dem kurzfristige Grenzübertritte möglich blieben.
Gegenwärtig wäre man im früher offenen Bodenseeraum über einen kleinen Grenzverkehr froh. Es gibt derzeit politische Bemühungen, den Grenzübertritt für Menschen aus diesem Gebiet zu erleichtern. Das wäre auch sinnvoll: Die Regionen rund um den See haben aktuell das Corona-Virus verhältnismäßig gut im Griff und es bestehen enge wirtschaftliche Verflechtungen, die wieder genutzt werden sollten. Wir benötigen mehr flexible, regionale Lösungen: Im Kleinwalsertal beispielsweise, das wirtschaftlich eng mit Deutschland verbunden ist, aber aufgrund der Grenzsperren praktisch abgeschnitten ist.
„Eine zentralistische Lösung war in Ordnung, als es darum ging, das Land in einer akuten Krisensituation herunterzufahren.“
Während es zum Zeitpunkt des von der Bundesregierung beschlossenen „Lockdowns“ durchaus wichtig war, dass für das ganze Land einheitliche Regelungen erlassen wurden, um eine weitere Ausbreitung des Virus einzubremsen, gibt es nunmehr neue Herausforderungen. Der Gesundheitsexperte Martin Sprenger, bis vor kurzem Mitglied des Expertenstabs im Gesundheitsministerium, fordert, regionale Lösungen zuzulassen, um in Gebieten, wo es praktisch keine Infektionen mehr gibt, die wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung möglichst wieder an das Niveau vor dem Lockdown heranzuführen. Selbstverständlich muss dabei behutsam vorgegangen werden, um das erreichte Niveau nicht zu gefährden.
Die Regionen sind wirtschaftlich nicht in der Lage, sich auf Jahre hinaus abzuschotten, von den gesellschaftlichen Folgen ganz zu schweigen. Deshalb kann es sinnvoll sein, den Bodenseeraum vorsichtig zu öffnen und auch für andere Gebiete Österreichs flexible Lösungen zu treffen. Eine zentralistische Lösung war in Ordnung, als es darum ging, das Land in einer akuten Krisensituation herunterzufahren. Regionale, an die unterschiedlichen Gegebenheiten angepasste Lösungen sind dagegen notwendig, um wiederherzustellen, was zuvor eigentlich normal war.
Peter Bußjäger ist Direktor des Instituts für Föderalismus und Universitätsprofessor in Innsbruck.
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