Jürgen Weiss

Kommentar

Jürgen Weiss

Punktgenau

Vorarlberg / 12.05.2020 • 11:00 Uhr

Die massiven und pauschalen Kontaktbeschränkungen im menschlichen Zusammenleben und in der Wirtschaft waren – weil rasch umgesetzt – offenkundig erfolgreich. Natürlich ist man nachträglich klüger als zuvor und auf weitere Ansteckungswellen besser vorbereitet. Wesentlich komplexer ist jetzt allerdings die Rückabwicklung der Beschränkungen. Immer mit einem Auge auf die Infektionsraten soll sie schrittweise erfolgen, um das Schicksal nicht mehr als notwendig und vertretbar herauszufordern. Dass das Virus schon wieder so rasch verschwunden wie es gekommen ist, wird man ja wohl nicht annehmen können.

Wer jetzt wieder was wann tun darf, wird natürlich genau beobachtet und es liegt auch in der Natur der Sache, dass da nicht alles wie aus einem Guss gelingt. So fällt zum Beispiel auf, dass ein mit dem Besuch eines Freundes begründeter Grenzübertritt nur dann möglich ist, wenn es sich bei diesem Freund um ein Pferd handelt. Einem Menschen gegenüber ist diese soziale Zuwendung verwehrt. Kein Grund für einen Grenzübertritt nach Vorarlberg ist es auch, in seiner Ferienwohnung nach dem Rechten sehen zu wollen. Dazu muss man eine Jagd gepachtet haben. Diese Unebenheiten werden aber wohl bald verschwunden sein.
Einen markanten Unterschied gibt es je nachdem, ob man sich um das leibliche oder das geistliche Wohl der Menschen kümmert. In einem Restaurant genügt, obwohl man klarerweise nur ohne Gesichtsmaske essen und trinken kann, ein Abstand von einem Meter zum nächsten Tisch. Beim Besuch eines Gottesdienstes muss in jede Richtung ein Mindestabstand von zwei Metern gewahrt werden, obwohl hier die ganze Zeit eine Gesichtsmaske zu tragen ist und in den Kirchenbänken nicht gesungen oder laut gebetet werden soll.

„Die verpflichtende Einführung wäre keine Überraschung.“

Wenn es neuerlich zu Infektionsherden kommen sollte, wird eine rasche Identifizierung und möglichst punktgenaue Reaktion notwendig sein. Für das ganze Bundes- oder auch nur Landesgebiet neuerlich flächendeckend die Stopptaste zu drücken, würde zu nur mehr schwer beherrschbaren Verwerfungen führen. Daher sind beispielsweise in der Schweiz und in Deutschland die Lockerungen bei Restaurantbesuchen anders als hierzulande mit einer Reservierungs- bzw. Registrierungspflicht verbunden. Auf diese Weise sollen bei Bedarf Ansteckungswege rasch identifiziert werden. Bei uns verlässt man sich zur Nachverfolgung von ansteckungsrelevanten Kontakten offenbar auf die Handy-App „Stopp Corona“ des Roten Kreuzes. Sie ist allerdings noch nicht auf allen Handys voll funktionsfähig und erst recht nicht grenzüberschreitend kompatibel. Daher ist ihre Verbreitung bescheiden und die Wirkung gering. Es wäre aber nach ersten Hinweisen aus dem Bundeskanzleramt keine Überraschung, wenn sie in verbesserter Form verpflichtend eingeführt würde.

Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.