Corona-Kontaktverbot setzt behinderten Menschen und ihren Angehörigen zu

Vorarlberg / 12.05.2020 • 15:00 Uhr
Corona-Kontaktverbot setzt behinderten Menschen und ihren Angehörigen zu
Margit mit ihrem behinderten Sohn Oliver. Die Pandemie setzte der trauten Zweisamkeit ein Ende.

Unter dem Corona-Kontaktverbot litten in den vergangenen Wochen auch behinderte Menschen, die in einer Einrichtung leben, und deren Angehörige.

Dornbirn/Gisingen Margit Thurnher (68) sehnt den Tag herbei, an dem sie ihren schwerbehinderten Sohn Oliver wieder in die Arme schließen kann. Der 27-Jährige, der mit einem Gendefekt zur Welt kam und über den Entwicklungsstand eines Zweijährigen nie hinausgekommen ist, lebt seit acht Jahren in einem Wohnheim der Lebenshilfe in Gisingen. Normalerweise verbringt Oliver die Feiertage und jedes zweite Wochenende bei seinen Eltern Margit und Josef in Dornbirn. „Ich hole ihn freitags im Wohnheim ab und bringe ihn montags in die Werkstätte. Aber wegen der Pandemie durften wir Oliver nicht mehr zu uns holen und ihn auch nicht besuchen“, bedauert die Mutter, die ihren Sohn seit mehreren Wochen nicht mehr gesehen hat. Sie telefoniert jedoch täglich mit ihm. „Zuerst rede ich mit dem Betreuer. Er erzählt mir, was sie tagsüber gemacht haben. Darauf gehe ich dann im Telefonat mit Oliver ein.“ Ihr Sohn kann nicht sprechen. „Aber er hört mich. Das ist das Wichtigste.“

Oliver vermisst die Besuche bei seinen Eltern sehr. „An Ostern bekam er gesundheitliche Probleme. Er konnte nicht mehr schlafen. Inzwischen geht es ihm aber wieder besser“, ist seine Mutter erleichtert. Von den Betreuern weiß Margit auch, dass er die zwei Familien-Fotobücher, die sie für ihn gemacht hat, oft ansieht und mit sich herumträgt. „Er zeigt allen die Fotos, auf denen mein Mann und ich abgebildet sind.”

“Als Oliver auf die Welt kam, prophezeiten mir die Ärzte, dass er höchsten drei Jahre alt werden würde.”

Margit Thurnher, Mutter von Oliver

Auch Margit sieht sich jetzt oft Fotos von ihrem jüngsten Kind an. „Als Oliver auf die Welt kam, prophezeiten mir die Ärzte, dass er höchstens drei Jahre alt werden würde.“ Aber in ihrer Obhut entwickelte sich ihr mehrfach behinderter Sohn gut. Zwischen den beiden entstand eine besondere Beziehung. „Man hängt sehr an so einem Kind, weil es voll auf dich angewiesen ist und ohne dich arm und hilflos wäre.“ Oliver bedeutet ihr „alles. Mein erster und letzter Gedanke am Tag gilt ihm.“ 19 Jahre betreute sie ihn zu Hause. „Er wurde in meinen Armen groß.“ Das kostete sie viel Kraft. Als dann auch noch ihre Mutter krank wurde und Margit sich auch um sie kümmern musste, kam sie an die Grenze ihrer Belastbarkeit. „Ich war in ein Burn-out geschlittert und hatte keine Kraft mehr. Deswegen musste ich Oliver außer Haus und in ein Wohnheim der Lebenshilfe geben. Das hat mir aber fast das Herz gebrochen.“  

“Die Mama ist halt die Mama”

Laut Margit ist Oliver in der Lebenshilfe-Einrichtung inzwischen mehr daheim als bei ihr und ihrem Mann. „Er weint nie, wenn ich ihn wieder ins Heim bringe.“ Aber er freut sich selbstverständlich auch immer, wenn Margit ihn übers Wochenende nach Hause holt. „Er summt dann im Auto. Die Mama ist halt die Mama. Und der Papa der Papa.“

Gerade erst bekam Margit einen Anruf von der Lebenshilfe, der sie sehr freute.  „Man teilte mir mit, dass ich meinen Sohn wieder mit nach Hause nehmen kann. Allerdings müsse er dann aus Gründen der Quarantäne 14 Tage bei uns bleiben.“ Obwohl Margit derzeit gesundheitlich angeschlagen ist, wird sie ihren Sohn anrufen und ihm sagen:  „Schätzle, endlich kann ich dich wieder abholen. Dann gehen wir als Erstes zum Bauern die Hennen füttern.“

Treffen im Freien sind jetzt möglich

400 Menschen mit Behinderungen leben in Wohneinrichtungen der Lebenshilfe bzw. werden im Bereich Wohnen von dem Verein begleitet. Seit Mai gilt nur noch ein eingeschränktes Betretungsverbot in den Wohnhäusern. Das heißt: Nun sind Besuche im Freien möglich – sei es ein Treffen mit den Eltern und anderen Angehörigen im Garten eines Wohnhauses oder auch gemeinsame Spaziergänge. Direkter Körperkontakt mit den Angehörigen sollte aber vermieden werden. Deshalb rät die Lebenshilfe derzeit noch davon ab, gehandicapte Menschen, die keine Abstandsregeln einhalten können, zu besuchen.