Eigenverantwortung
Immer mehr Staaten beenden den faktischen Ausnahmezustand, in dem seit mehr als zwei Monaten regiert wird, und kehren vorsichtig zu einem öffentlichen Leben zurück, das allmählich wieder Ähnlichkeiten mit dem Normalzustand aufweist. Sogar in Ungarn wird das Parlament demnächst die Hoheit über die Gesetzgebung zurückerlangen.
Für Juni hat auch die Bundesregierung in Österreich weitere Lockerungen angekündigt. In den letzten Monaten konnten die Landeshauptleute erfahren, was es bedeuten würde, nicht in einem föderalistischen Staat zu leben. Zwar wurden Bundeskanzler und Gesundheitsminister nicht müde zu betonen, dass die Entscheidungen der Bundesregierung in Absprache mit den Landeshauptleuten erfolgten – rechtlich jedoch wurden die Länder zu Befehlsempfängern des Bundes degradiert. Den Landeshauptleuten blieb nicht viel anderes übrig, als die Direktiven des Bundes an die Bezirkshauptmannschaften weiterzugeben.
Diese Anordnungen waren in den meisten Fällen sinnvoll und wichtig, manchmal aber auch sinnlos, wie der berüchtigte „Ostererlass“, der dazu führte, dass die Bezirkshauptmannschaften auf Geheiß des Bundes Verordnungen erließen, wonach zu Ostern keine Verwandtenbesuche stattfinden durften. Das Ministerium machte zwar eilig einen Rückzieher, die Verordnungen waren jedoch schon von den Bezirkshauptmannschaften kundgemacht und blieben in Kraft. Aber es war egal, es kümmerte niemanden. Bedeutungsvoller ist, dass der Bund noch immer viele Landesangelegenheiten regelt, Veranstaltungen wie Hochzeiten und Begräbnisse zum Beispiel. Auch das Betreten von Sportstätten wird normiert. Der Landtag konnte auch nichts anderes tun als umzusetzen, was in Wien entschieden wurde, wie etwa Besuchsverbote in Pflegeheimen und Spitälern gesetzlich zu verankern.
Im Grunde ist das Landesparlament, das Herz des selbständigen Landes Vorarlberg, in der Corona-Krise an den Rand gedrängt worden. Da ist es nur ein schwacher Trost, dass es dem Nationalrat nicht viel besser geht. Er hat der Bundesregierung weitgehende Handlungsvollmachten übertragen. In Deutschland sprechen die Verfassungsjuristen von „parlamentarischer Selbstentmächtigung“, ein Ausdruck, der die Situation sehr gut trifft. Die Krise stärkt gezwungenermaßen die Regierung.
Bundeskanzler Kurz hat angesichts der nunmehr stabileren Lage angekündigt, Regelungen zugunsten der Eigenverantwortung der Bürger zurückzunehmen. Dies wäre auch die Gelegenheit, die Eigenverantwortung der Länder wieder zu beleben und vom faktischen Ausnahmezustand Abschied zu nehmen.
Peter Bussjäger
peter.bussjaeger@vn.at
Peter Bußjäger ist Direktor des Instituts für Föderalismus und Universitätsprofessor in Innsbruck.
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