Wolfgang Burtscher

Kommentar

Wolfgang Burtscher

Sind wir lernfähig?

Vorarlberg / 08.06.2020 • 05:59 Uhr

Haben wir wirklich und nachhaltig etwas aus Corona gelernt? Ich habe Zweifel. Als es am Beginn der Krise zu wenig Schutzmasken gab, haben heimische Textiler unter Führung des Lustenauers Günter Grabher innerhalb kürzester Zeit das Projekt „Vorarlberger Atemschutzmasken“ aus dem Boden gestampft und eine Million hochwertiger Mehrwegmasken produziert. Es hieß: Wir müssen schauen, dass wir lebenswichtige Dinge selbst herstellen und von China unabhängig werden. Jetzt sagte Grabher den „Salzburger Nachrichten“ (SN), dass die Nachfrage total eingebrochen sei, seitdem bekannt geworden ist, dass die Maskenpflicht bald aufgehoben wird. Grabhers Masken sind waschbar , können also mehrmals verwendet werden, kosten aber acht Euro. Mit chinesischen Wegwerfmasken können sie preislich nicht mithalten. Resümee der SN: „Jetzt liefert Asien wieder und bringt die aus dem Boden gestampfte heimische Produktion in Bedrängnis.“ Es geht auch anderen Schutzmasken-Produzenten so. Frei nach Schiller: Der Grabher hat seine Schuldigkeit getan, der Grabher kann geh´n. Aber was ist, wenn Corona wieder ausbricht und wir wieder zu wenig Masken haben?

„Frei nach Schiller: Der Grabher hat seine Schuldigkeit getan, der Grabher kann geh´n.“

„Kauft hochwertige regionale Lebensmittel!“ So lautete am Höhepunkt der Krise das Motto. Und jetzt? Der WWF und „Vier Pfoten“ haben festgestellt, dass binnen vier Wochen von fünf Supermarktketten 254 Fleischprodukte mit Rabatten von über 20 Prozent, in Einzelfällen bis zu 60 Prozent angeboten worden sind. Ein ganzes Huhn um drei Euro, ein Kilo Schweinefleisch um vier Euro. Ein umwelt- und tierfreundlicher Betrieb sei bei diesen Kampfpreisen unmöglich, sagt der WWF. Die nunmehr größte heimische Handelskette propagiert in ganzseitigen Inseraten Käse aus der Schweiz, und das im Käseland Vorarlberg. Regional kaufen? Ein schlechter Scherz.

Werden manche Tourismusorte dazulernen? Zweifel auch hier. Das „profil“ berichtet, dass sich im Coronahotspot Ischgl mehrere Après-Ski-Lokale nicht an die behördliche Schließung vom 10. März gehalten haben. Es wurde munter weitergefeiert, die Polizei ist nicht eingeschritten. Zu Ischgl hat der Tiroler Fotograf Lois Hechenblaikner gerade einen Bildband über die Party-Exzesse (vor Corona) herausgebracht. Die Skipisten übersät mit Schnapsgläsern, Bier- und Sektflaschen. Komasaufende Männer, die Sexpuppen in aller Öffentlichkeit malträtieren, und Frauen, die mehr als freizügig auf den Theken tanzen. Wird es diese Form des Massentourismus, von der der Arlberg oder das Montafon bisher verschont geblieben sind, nach Corona nicht mehr geben? Ich zweifle.

Ich zweifle auch daran, dass wir uns jetzt weniger von Amazon und Co. beliefern lassen. Bestellung per Internet ja, aber haben nicht heimische Firmen, vom Buchhändler bis zu Landwirten, während Corona vorexerziert, dass sie das auch können, damit die Wertschöpfung aber im Land bleibt? Könnte man das nicht beibehalten? Ich staune aber auch, wie bei den aktuellen Demos, so gerechtfertigt sie sind, oder in Parkanlagen der Babyelefant zu einem Mäuslein mutiert. Denn eines sollten wir aus Corona gelernt haben: Die Krise allein bewältigen können weder die Virologen noch die Politiker (jeweils m/w) allein, sondern nur wir alle.

Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landes­direktor, lebt in Feldkirch.