„Ein solcher Unfall passiert dir nur einmal im Leben“

Nicole überlebte einen Frontalcrash auf der Todesstrecke S 16.
Dalaas Sie hat den traurigen Ruf als Todesstrecke – die S 16, also der Schnellstraßenabschnitt zwischen Bludenz und Langen. Immer wieder erschüttern gravierende Unfälle wie Frontalzusammenstöße mit Toten und Verletzten Vorarlberg. Nicole (39) muss diese gefährliche Strecke fast jeden Tag fahren. Die Friseurin lebt in Dalaas und arbeitet in Bludenz bei der Firma „Klipp Frisör“. Am 15. November 2019 steigt sie nach der Arbeit in ihren Opel Crossland (ein kleines SUV-Modell) ein und fährt nach Hause. Sie ist guter Laune und freut sich auf den Feierabend in ihrem heimeligen Heim. Aber an diesem Abend kommt sie nicht zu Hause an.
Auf Höhe Bings kommt ihr ein Auto in Schlangenlinie entgegen. „Es war dunkel. Ich sah die Lichter und dachte mir: ,Der wird mich doch wohl sehen.‘“ Sekundenbruchteile später kracht das entgegenkommende Auto, das von einem 19-jährigen Mann gelenkt wird, frontal in Nicoles Wagen. „Es knallte fürchterlich. Ich sah, wie die Windschutzscheibe zerbarst. Dann wurde es still. Im Auto war es düster. Es stank grauenvoll“, schildert sie, wie sie den Frontalzusammenstoß erlebte.
„Ich blutete wie verrückt“
Ein Ersthelfer hilft ihr aus dem Autowrack. „Im Schock habe ich mich an ihn geklammert und ihn nicht mehr losgelassen.“ Nicole hat starke Bauchschmerzen und blutet wie verrückt. Ein Plastikteil hat sich in ihr Knie gebohrt. Noch vor Ort wird ihr ein Druckverband angelegt. Im Spital wird das Ausmaß ihrer Verletzungen sichtbar: „Ich hatte mehrere Hämatome am Körper, mein ganzes Becken war blau. Die Gelenkskapsel am Knie war verletzt. Aber ich hatte keinen einzigen Bruch und keine inneren Verletzungen.“ Nachsatz: „Meine Schutzengel haben wirklich gute Arbeit geleistet.“
„Ich könnte bereits tot sein oder heute im Rollstuhl sitzen.“
Nicole, Unfallopfer
Nach der Knieoperation fand das Unfallopfer nicht in den Schlaf. „Ich lag die ganze Nacht wach. Meine Emotionen spielten verrückt“, zeigt sie auf, dass der Verkehrsunfall sie enorm aufwühlte. Die ersten 14 Tage nach dem Frontalcrash war sie so dünnhäutig, dass sie nach jedem netten SMS oder Anruf weinen musste. Durch den Unfall war ihr klargeworden, dass der Tod uns schnell und jederzeit dahinraffen kann und sie Glück im Unglück gehabt hatte. „Ich könnte bereits tot sein oder heute im Rollstuhl sitzen.“
Ihre Genesung schritt rasch voran. Das führt sie unter anderem darauf zurück, „dass meine Familie, meine Freunde und mein Arbeitgeber voll hinter mir gestanden sind. Dafür bin ich sehr dankbar.“ Nach zwei Monaten im Krankenstand begann die Klostertalerin wieder zu arbeiten. „Ich wollte schnell wieder in den Alltag rein. Ich brauche das Arbeiten und die Menschen.“ Mit ihren Stammkunden sprach die Friseurin über ihren Unfall. „Das war wie eine Therapie für mich.“
Schreckhaft seit dem Unfall
Inzwischen fährt sie auch wieder Auto. „Ich habe keine Angst beim Autofahren. Allerdings beobachte ich die anderen Autofahrer jetzt stärker.“ Dass sie sich wieder getraut hat, einen Pkw zu steuern, erklärt sie so: „Ein solcher Unfall passiert dir nur einmal im Leben.“ Allerdings fährt sie jetzt einen größeren Geländewagen. „Seit ich ihn angeschafft habe, schlafe ich besser.“ Den Unfallort passiert sie fast täglich. „Nur manchmal kommt es mir in den Sinn, dass ich hier verunglückt bin.“ Nicoles Geist weilt nicht oft in der Vergangenheit. „Ich denke selten zurück. Das Leben bleibt nicht stehen. Es geht vorwärts.“ Einzig ihre Schreckhaftigkeit erinnert sie noch hin und wieder an den Verkehrsunfall. „Wenn es in meiner Nähe aus irgendeinem Grund laut knallt, zucke ich zusammen.“