“Drohnen verschrecken das Wild”

Vorarlberg / 29.07.2020 • 18:46 Uhr
Drohnen stiften im Gebirge bei Wild-tieren viel Unruhe. VN/Paulitsch
Drohnen stiften im Gebirge bei Wild-
tieren viel Unruhe. VN/Paulitsch

Hubert Schatz berichtet über neues Ärgernis in Naturgebieten und spricht sich für Regulierungsgatter “light” aus.

Bregenz Wildbiologe Hubert Schatz (55) erfährt eine wechselvolle Zeit. Am Höhepunkt der Coronakrise erlebte er viele Naturgebiete in seltener Ruhe. Jetzt ist das Gegenteil der Fall. Viele Touristen, die nicht in der Fremde urlauben, haben sich abgelegene Regionen im Wald und in den Bergen als alternative Erholungsräume ausgesucht. Und sorgen damit für Unruhe bei den Wildtieren. Schatz äußert sich im vn.at-Interview auch zu Regulierungsgattern, den Wölfen und zur TBC-Problematik.

 

Coronabedingt hat die Frequenz von Naturgebieten zuerst deutlich nachgelassen und ist nun in die Höhe geschossen. Wie haben Sie das erlebt?

Es ist dies eine bemerkenswerte Entwicklung. Nach dem Lockdown erlebte ich eine seltene Ruhe in der Natur. Man sah wieder Wild, wo man es vorher lange nicht mehr gesehen hatte. Ganz einfach weil es nicht gestört wurde. Nach Ende des Lockdowns hat sich die Situation ins Gegenteil verkehrt. Menschen halten sich in einer nie gekannten Frequenz in abgelegenen Gebieten auf. Und das hat mehrere negative Auswirkungen.

 

Werden Sie konkret.

Ich habe an bisher unberührten Orten schon Leute mit Zelten gesehen. Etwa in der Silvretta an Stellen, wo sich sonst Wild besonders gerne aufhält. Leute kommen mit E-Bikes jetzt an Orte, wo sie sonst nicht hingekommen wären. Und sie bleiben dort auch länger, weil ihnen ihre Ausrüstung eine weniger anstrengende Aktivität ermöglicht, als wie wenn sie mit einem herkömmlichen Bike unterwegs wären. Sie können mit E-Bikes viel größere Distanzen zurücklegen und stoßen dabei in Gebiete vor, die vorher unberührt waren. Da gibt es seit Neuestem aber noch etwas Störenderes . . .

 

Und das wäre?

. . . Drohnen. Man muss sich das vorstellen: Einige Naturnutzer nehmen doch wirklich Drohnen mit. Sie lassen die Dinger in die Höhe steigen, navigieren sie in Gebiete, wo sich viel Wild befindet und schießen damit Fotos. Das Wild hingegen wird unvermittelt aufgeschreckt und hetzt durch die Gegend. Das sind Missstände, gegen die man scharf vorgehen muss.

 

Sollte es nicht überhaupt strengere Regeln für Naturnutzer geben?

Ja, ich wäre selbstverständlich dafür. Nur neue Regeln aufzustellen, ist allerdings viel zu wenig. Noch wichtiger ist es, dass diese Regeln auch überwacht werden. Und dafür braucht es Personal.

Kommen wir zum Thema Wolf. In Tirol, so hört man, soll die Bildung eines Wolfsrudels unmittelbar bevorstehen. Was bedeutet das für Vorarlberg?

Es gibt noch keinen klaren Beleg dafür, dass es so weit ist. Aber natürlich: Ein Wolfsrudel kann sich bilden, wenn sich ein Wolf in einer Region länger aufhält und er/sie treffen dort auf ein Weibchen oder ein Männchen. In Graubünden gibt es mittlerweile ein Pärchen, das schon den sechsten Wurf hinter sich hat. In Deutschland entstehen immer mehr Wolfsrudel. Mich überrascht es ehrlichlicherweise, dass wir bei uns schon länger keine spürbaren Wolfsaktivitäten mehr verzeichnen. Die letzte war ein Rehriss in Sibratsgfäll vor einigen Monaten. Und das war derselbe Wolf, der 2018 in Hittisau Schafe riss. Dieses Tier ist übrigens Deutscher und stammt aus Brandenburg, wo es viele Wölfe gibt.

 

Wie ist Ihre Position in der Frage: Problemwölfe entnehmen, also töten, oder schützen um jeden Preis?

Gott sei Dank stecken wir im Gegensatz zu Tirol und Salzburg derzeit nicht in diesem Dilemma. Ich will da auch nicht den Kollegen Ratschläge erteilen. Ich meine grundsätzlich: Sollte es auch bei uns einmal Wölfe geben, die eine wirkliche Gefahr für Nutztiere werden, dann
darf man eine Maßnahme wie den Abschuss nie gänzlich verwerfen. Sonst wird der Wolf nämlich wirklich zum unliebsamen Tier. Sehr bedenklich fände ich eine Rudelbildung in Vorarlberg. Das hätte viele Sprengkraft.

 

Wie entwickelt sich der Luchs in freier Wildbahn bei uns?

Dem geht es gut. Der breitet sich in zweistelliger Zahl aus. Er wird allmählich in verschiedenen Regionen sesshaft. Wir können ihn schon im Rätikon, im Gebiet rund um den Hohen Freschen, im Montafon, im Großwalsertal und auch im Klostertal nachweisen. Der Luchs ist im Gegensatz zum Wolf keine Gefahr für die Landwirtschaft – sofern er bei den Wildtieren genügend Nahrung findet. Trotzdem würde ich ein Luchsmanagement empfehlen. Da geht es auch um Abschusszahlen für die Jagd, wenn der Luchs Bestände beeinflusst.

 

Wieder einmal sind Regulierungsgatter in aller Munde. Die Staatsanwaltschaft klagt die Verantwortlichen des Gatters von Kaisers in Tirol nicht an. Wie ist ihre Position bei diesem Thema?

So wie das in Kaisers mit der Massentötung passiert ist, darf man es ganz sicher nicht machen. So etwas bezeichne ich als Tötungs- und Keulungsgatter. Aber ein Wildregulierungsgatter mit viel weniger Tieren und der Möglichkeit für eine Selektion ist für mich dann denkbar, wenn es nicht gelingt, den Wildbestand auf eine andere Art und Weise zu regulieren. Eines ist nämlich klar: Wir brauchen einen TBC-freien Wildbestand. Darüber hinaus sollte man sich bei uns auch einmal Gedanken über den meiner Meinung nach zu starken Viehverkehr machen.