Lernen S´ Geschichte!
Ein Spitzenpolitiker weckt um Mitternacht einen Redakteur der „Zeit im Bild“ per Telefon, weil dieser von einer Pressekonferenz des Bundeskanzlers keinen Bericht gebracht hat. Der Redakteur verteidigt sich, weil die Pressekonferenz keinen Neuigkeitswert gehabt habe. Der Kanzler sei sehr wütend, sagt der Spitzenpolitiker, der Redakteur möge ihn noch in der Nacht anrufen. Der Redakteur weigert sich.
„Damals wie heute hatten die Regierenden mit einem Untersuchungsausschuss wenig Freude.“
Eine Geschichte aus jüngster Zeit? Media Control? Falsch. Die Story spielt 1979. Anrufer war SPÖ-Zentralsekretär Blecha, der wütende Kanzler Bruno Kreisky und der Redakteur Ulrich Brunner, gerade zum Ressortleiter Innenpolitik ernannt, damals SPÖ-Mitglied. Berühmt geworden ist er, der Kreisky durch hartnäckige Fragen häufig genervt hat, durch den harschen Rüffel: “Lernen S’ Geschichte, Herr Reporter!“ Unter eben diesem Titel hat Brunner jetzt aus Anlass des 30. Todestages von Kreisky ein Buch herausgebracht (Verlag Ecowin). Absolut lesenswerte Zeitgeschichte mit Hintergrundstorys, die man so bisher nicht gekannt hat. Ein Beweis, wie brillant Kreisky mit den Medien umgehen konnte. Brunner schildert etwa, dass manche Fragen der Zeitungsjournalisten bei dem von Kreisky erfundenen Pressefoyer keine Fragen waren, sondern Meinungskommentare. Kreisky darauf: “Das war jetzt Ihr Leitartikel, den ich morgen in Ihrer Zeitung lese. Dazu muss ich heute nicht Stellung nehmen.“ Kreisky konnte sich das erlauben, Politiker heute wohl nicht.
Damals wie heute hatten die Regierenden mit einem Untersuchungsausschuss wenig Freude. Der Kreisky-Brunner-Konflikt entzündete sich am AKH-Ausschuss, mit dem die oppositionelle ÖVP den SPÖ-Finanzminister Androsch zu Fall bringen wollte und den die SPÖ abwürgte. Mit Hilfe der FPÖ, wohl als Vorleistung für eine Regierungsbeteiligung, die später auch eintrat. Heute müssen halt die Grünen in einem U-Ausschuss gelegentlich der ÖVP zu Hilfe eilen. Kreisky und Brunner wurden keine Freunde. 1985, der sehr kranke Kreisky war als Kanzler schon zurückgetreten. Brunner, jetzt Chefredakteur beim ORF-Radio, bekam von Kreisky einen Brief: „Sehr geehrter Herr Redakteur!“, das „sehr geehrter“ durchgestrichen: „Ich lese soeben den vollen Wortlaut Ihres Gesprächs mit Finanzminister Vranitzky und bin über die Niederträchtigkeit Ihrer Fragen entsetzt. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass ich mit Ihnen in Zukunft nichts mehr zu tun haben will.“
Mahnende Worte
Brunner, der 2007 aus der SPÖ ausgetreten ist, hat auch mahnende Worte für seine ehemalige Partei parat, die sich zum Migrationsthema zu lange totgestellt habe: „Da sich die SPÖ nicht entscheiden kann, rinnt sie nach allen Seiten aus. Die Multikulti-Fans zu den Grünen, die Migrationskritiker zur Kurz-ÖVP, zur FPÖ. Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Klimadebatte, wo die SPÖ viel zu spät reagiert hat. … Viele, die ihren Aufstieg den von der Sozialdemokratie geschaffenen Möglichkeiten verdanken, sind zu anderen Parteien abgewandert. Manche sind in der SPÖ geblieben und irritieren mit ihren Porsches und Rolex-Uhren die Arbeiterschaft.“ Brunner zitiert zum Schluss aus seinem Austrittsschreiben: „30 Jahre SPÖ-Kanzlerschaft hatten zu einer Machtverfettung geführt, die keine Partei auf Dauer unbeschadet übersteht. Macht korrumpiert, totale Macht korrumpiert total.“ Und schließt: „Bis heute hat sich die SPÖ weder personell noch programmatisch so aufgestellt, dass ich in Versuchung gekommen wäre, wieder Mitglied zu werden. Aber Wehmut bleibt schon.“
Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landesdirektor, lebt in Feldkirch.
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