Nach Wolfsrissen gehen die Wogen hoch

Räuber übersprang problemlos elektrische Zäune. Wildbiologe Schatz befürchtet: Er wird zum Wiederolungstäter.
Egg-grossdorf Die Stimmung könnte auf der Stockerreute ob Großdorf friedlicher nicht sein. Der Wind streift sanft über die grünen Gräser, die Schafe in der eingezäunten Koppel scheinen den Sommertag zu genießen. Kaum vorstellbar, was dort und auf einer anderen Schafweide bei Schetteregg in zwei Nächten passierte. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war es ein Wolf, der in den beiden mit einem Stromzaun umgebenen Koppeln ein Massaker an Schafen anrichtete. In der Nacht auf Sonntag übersprang das Tier zuerst den elektrisch geladenen Zaun in der Stockerreuter Koppel, riss ein Mutterschaf und fraß es zum Teil auf. Ein anderes Schaf stieß bei der Flucht in den Zaun und verendete.
Die Nacht darauf trieb es ein Wolf – ob es der gleiche war oder nicht kann derzeit nicht, gesagt werden – noch schlimmer. Er riss in Schetteregg fünf Schafe, an einem fraß er ebenfalls. Ein weiteres Schaf verletzte er schwer, es musste getötet werden.
Wolf sprang über Zaun
„Wir haben unsere Schafe eingezäunt. Der Wolf hat diesen Zaun einfach übersprungen“, erzählte ein Mitglied der Familie, die nicht genannt werden will, den VN. Die Schafzüchter, die von der Zucht leben, sind verstört. „Man weiß ja nicht, wie das weitergeht. Wir können jetzt jedenfalls nicht einfach Hunde anschaffen.“ Die Schafe seien nun sehr verschreckt. „Wenn jemand vorbeikommt, spitzen sie die Ohren und stehen nervös beisammen.“
Wildbiologe Hubert Schatz (55), der sich noch beim digitalen VN-Stammtisch verwundert darüber zeigte, dass so lange kein Wolf mehr bei uns war, zweifelt nicht an der jetzt eindrücklich belegten Präsenz des Räubers. „Wir müssen natürlich noch die DNA-Tests abwarten. Aber es spricht bei diesen Vorfällen alles für das Werk eines Wolfes. Nur er kann so etwas anrichten.“

Schatz ist besorgt: „Bedenklich stimmt mich die Tatsache, dass der Wolf diesen vorschriftsmäßig errichteten Zaun überspringt. Dieses Verhalten hat er sich nun antrainiert. Er weiß in ähnlichen Situationen: Ich muss nur über diese Barriere drüber, dann bin ich beim Esstisch. Was mir noch Sorgen macht: Der Wolf hielt sich relativ nahe bei menschlichen Siedlungen auf. Er scheint keine Scheu vor den Behausungen zu haben.“
Urlauber ohne Angst
Durch Zäune der Schafkoppeln fließt überall Strom und sie schienen beim Lokalaugenschein nach der Wolfsattacke unversehrt. Ein Beleg dafür, dass der Wolf diesen Zaun übersprang. Für die Schafzüchter ist es schwierig, die Tiere über Nacht in einen Stall zu treiben, weil sie sich oft auf verschiedenen Koppeln befinden und ein Zusammentreiben zu aufwendig wäre.
Genau das wäre eine jener Empfehlungen des Wolf-Maßnahmenplans. Gespannt ist Schatz darauf, ob es sich bei den Rissen um die Tat eines oder zweier Wölfe handelt. „Mehr können es nicht gewesen sein.“
„Der Wolf weiß jetzt: Ich muss nur über den Zaun springen, dann bin ich beim Esstisch.“
Hubert Schatz, Wildbiologe
Andreas Brunner (49), der in einem Bauernhaus vis-à-vis der Koppel in Stockerreute mit zwei kleinen Kindern urlaubt, will sich von den Geschehnissen nicht beunruhigen lassen. „Wir haben nichts gehört und nichts gesehen. Angst haben wir ehrlicherweise auch nicht.“