Weißrussin Ulyana: “Sie haben Eltern gedroht, ihnen ihre Kinder wegzunehmen”

Ulyana Rummer lebt in Dornbirn, ihr Herz und ihre Gefühle sind derzeit aber in Weißrussland.
Dornbirn “Mama hat mich soeben angerufen. Ich soll ja nichts von ihr erzählen. Sie hat Angst, dass man sie nicht mehr nach Österreich lässt.” Das muss Ulyana Rummer (37) zuallerst anbringen, bevor sie über Weißrussland, ihre Heimat, spricht. Mamas Erlebnisse braucht Ulyana nicht. Es gibt genug andere Menschen in Weißrussland, die ihr dieser Tage über die Geschehnisse in Belarus berichten.
Chancenlos gegen die Massen
Die Angst spielt dabei eine immer geringere Rolle. “Weil es Massen sind, die mittlerweile auf die Straße gehen, um gegen die Diktatur des Lukaschenko zu demonstrieren. Gegen diese Massen haben die Sicherheitskräfte keine Chance. Das spüren die Menschen.” Es sei alles derzeit völlig emotionalisiert. “Die Leute treffen sich auf den großen Plätzen. Sie lachen und weinen. Es ist alles anders geworden.”
In Weißrussland hätten viele Menschen gar nicht mehr gewusst, wie es sein könne ohne Diktatur, ohne Alexander Lukaschenko. Der habe den Bogen überspannt. “Es war nicht ein einzelnes Ereignis, das zur Explosion führte. Es war die Summe der Unterdrückungen. Lukaschenko hatte zuletzt andere Wahlwerber einfach einsperren lassen, er war bei Corona untätig. Als er nun aber auch noch die Wahlen derart dreist fälschen wollte, ist das Fass zum Überlaufen gekommen”, analysiert Ulyana Rummer, die in Vorarlberg als Deutschlehrerin arbeitet.
“Der Aufstand in Weißrussland ist das Resultat der Summe an Unterdrückungen.”
Ulyana Rummer, Weißrussin in Vorarlberg
Skrupellos auch im Alltag
Lukaschenkos Schergen hätten schrecklich gewütet. Besonders die gefürchtete Polizeieinheit Omon. “In einem ihrer Gefängnisse haben sie eine Freundin von mir misshandelt und erniedrigt. So musste sie sich nackt ausziehen, immer wieder Kniebeugen machen, während man ihre Unterwäsche zerriss. Es wurden auch Frauen von diesen Leuten vergewaltigt und schwer verletzt.”
Der Diktator habe geglaubt, die Revolte niederschlagen zu können, wie er das vor neun Jahren schon einmal gemacht hat. “Das damals war jedoch nur ein kleines Aufmucken. Die Protestierer wurden sofort in Polizeiautos gezerrt und weggeführt. Aber jetzt geht das nicht mehr so einfach.” Wie skrupellos Lukaschenkos Vasallen auch im Alltag vor dem Aufstand vorgingen, belegt eine Maßnahme ganz besonders. “Leuten, die oppositionell in Erscheinung traten, wurde offen damit gedroht, dass man ihnen die Obsorge über ihre Kinder entzieht.”
Große Solidarität
Der Kampf gegen Lukaschenko sei noch nicht gewonnen, ist Ulyana Rummer überzeugt. “Etwas Gewalttätiges traut man ihm schon noch zu. Seine Schlägertrupps agieren jetzt vielfach in Nebenstraßen, wo sie nach Hause zurückkehrende Demonstranten immer noch gewaltsam in ihre Autos zerren und wegbringen.”
In den Herzen und Köpfen der Weißrussen ist aber schon längst die Hoffnung stärker als die Hoffnungslosigkeit. “Es gibt eine unglaubliche Welle der Solidarität. Zahnärzte ersetzen gratis Zähne von zusammengeschlagenen Demonstranten, Automechaniker reparieren unentgeldlich Autos, die von Sicherheitskräften mutwillig zerstört wurden. Es gibt Geldsammlungen für Polizisten, die ausgestiegen sind, und vieles mehr.” Für Ulyana Rummer, die immer noch weißrussiche Staatsbürgerin ist, sind das alles Hinweise darauf, dass in ihrer Heimat eine neue Zeit anbricht. “Eine bessere, als jene unter Lukaschenko.”