Sommerserie: Schicksal 6
Einen Meter auseinander saß das Ehepaar Hoffmann, so als bestünde Gefahr, sich anzustecken. Sie war es, die sagte:
„Wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir ohne Kitti leben, nur wir zwei.
„Dann setz dich auf meinen Schoß“, sagte ihr Mann und gleich fand er, dass sie viel zu knochig sei. „Du musst an Gewicht zulegen und weich werden, dann wird unser Leben runder.“
Für Ironie war er immer gut gewesen, und sie hatte das gemocht, nur merkte sie jetzt, dass sie nicht abschalten konnte. Sie war verkrampft, sie war verbittert. Und sie fand seine Ironie oder das, was er darunter verstand, hirnrissig.
„Kitti half im Haushalt, kochte mit Hannah, las den Kindern Märchen vor.“
„Und du“, sagte sie zu ihrem Mann, „halte dich mit Süßigkeiten zurück, sonst wirst du etwas, was du nicht sein willst.“
Er ärgerte sich: „Ich bin kein Etwas, schreib dir das auf!“
So war die Stimmung.
Es war öd ohne Kitti. Ohne das Warten auf Kitti. Ohne den Ärger, dass sie wieder einmal nicht ihr Zimmer aufgeräumt, dass sie die Schule kurz vor der Matura abgebrochen hatte. Noch vieles mehr, woran man sich gewöhnen musste. Dass man auch den Kummer vermissen konnte! Kitti wollte mit ihren Eltern nichts mehr zu tun haben. Es sei denn, sie würden akzeptieren, dass sie ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann hatte. Traurig, traurig, traurig.
Kitti lebte bei Benito und Hannah, als eine Art Tochter, selten als Geliebte, selten kurz vor Morgengrauen, wenn Benito sich zu ihr ins Bett schlich. Es schien, als wüsste Hannah nichts davon. Sie lag wach, während er bei Kitti war und biss sich in ihren Handballen. Es musste weh tun. Niemals würde sie sich daran gewöhnen. Niemals würde sie in eine Scheidung einwilligen. Also: daran gewöhnen. Einmal hatte sie Benito darum gebeten, nach einem heftigen Streit, einmal nur. „Tus bitte nicht mehr!“
Kitti half im Haushalt, kochte mit Hannah, las den Kindern Märchen vor. Manchmal kroch sie in der Nacht unter die Decke und schrie, dabei hielt sie sich aber den Mund zu. Warum schreie ich eigentlich, dachte sie. Ich hab doch, was ich will. Fast jedenfalls. Sie würde es nie zugeben, aber sie vermisste ihr Zimmer, ihre Unordnung, ihre Musik, ihre Joints, den Kindheitsgeruch, den eigenen. Die fremden Kinder, Benitos und Hannahs rochen dagegen erwachsen. Benito duldete es nicht, dass sie rauchte. Sie nahm sich vor, die achte Klasse zu wiederholen, nicht gleich, vielleicht in ein bis zwei Jahren. Wenn das möglich war. Wenn nicht, das wäre eine Gemeinheit. Erst aber musste sich herausstellen, ob Benito sich niemals scheiden lassen würde. Und wenn er würde? Das Herz aus dem Leib heulen, das hatte sie noch vor sich. Schauen, ob das geht.
Auf dem Teppich lagen ihre künstlichen Wimpern. Sie sahen aus wie Spinnentiere. Weberknechte. Die hatten sie immer interessiert. Ihre Freundinnen schrien, wenn sie sie sahen.
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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