Johannes Huber

Kommentar

Johannes Huber

Anschober ist demontiert

Vorarlberg / 19.09.2020 • 06:59 Uhr

Ehe das virologische Quartett, also Bundeskanzler Sebastian Kurz und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) sowie Vizekanzler Werner Kogler und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), diese Woche weitere Verschärfungen zur Coronabekämpfung verkündete, war Anschober zu den Menschen hinausgegangen: Bei einer Runde durch die Wiener City stellte er fest, dass sie sehr diszipliniert Maske tragen. Das habe ihn wieder etwas zuversichtlicher gestimmt, so der 59-Jährige.

Der Minister hat sich selbst getäuscht: Er war zur falschen Zeit am falschen Ort. Wäre er zum Beispiel heute um drei Uhr nachts zum Wiener Donaukanal gefahren, er hätte sich sehr wahrscheinlich auf einer Party wiedergefunden; bzw. bei einer dieser Gelegenheiten, bei denen das Virus gerade explodiert. Anschobers Urteil wäre fix anders ausgefallen.

Doch das ist bezeichnend: Der Gesundheitsminister steht immer weiter daneben. Ja, das ist ein hartes Urteil, und man muss auch berücksichtigen, womit er konfrontiert ist; mit einem Jahrhundertereignis, das ein Einzelner nicht beherrschen kann. Bei Anschober kommen jedoch eigenes Zutun und fremde Beihilfe zu einem erweiterten Kontrollverlust dazu.

Ampel-Katastrophe

Böse Zungen behaupten, seit er als erster Politiker Sebastian Kurz hinter sich gelassen habe bei den Beliebtheitswerten, sei sein Schicksal besiegelt: Türkis werde ihn schwächen. Diese Erzählung ist zu einfach. Bei diversen Verordnungen und Gesetzen und vor allem auch bei der Ampel hat er schon auch selbst Unzulänglichkeiten zu verantworten. Allein, dass es für Gelb- und Orange-Schaltungen am Ende dann doch keine Orientierungen gegeben hat, war eine unverzeihliche Katastrophe: Vertrauen in das staatliche Krisenmanagement ist damit mehr denn je Spott, allgemeiner Verunsicherung oder gar Verachtung gewichen.

Dem Gesundheitsminister ist bei der Ampel aber auch böse mitgespielt worden: Länder- und Gemeindevertreter haben sich über die Einschätzungen der Experten hinweggesetzt und nicht getan, was zur Coronabekämpfung nötig wäre, sondern was ihnen gefällt. Der Linzer Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) hat das mit Unterstützung des oberösterreichischen Landeshauptmannes Thomas Stelzer (ÖVP) ganz offen gesagt.

Kurz stellte auf „Rot“

Aber auch der Kanzler ist zu einer zunehmend anderen Strategie gewechselt: Zunächst bestärkte er mit seiner Aussicht auf einen normalen Sommer 2021 eine verbreitete Sorglosigkeit, dann erklärte er das Infektionsgeschehen zu einer zweiten Welle. Im Grunde genommen hat Kurz die Ampel damit auch schon auf „Rot“ gestellt und signalisiert, dass Anschober nichts mehr zu sagen hat. Was insofern besorgniserregend ist für diesen, als sein eigener Parteivorsitzender, Vizekanzler Werner Kogler, so quälend schweigt dazu. Das zeigt: Anschober ist demontiert.

Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.