IHS-Chef Kocher: „Junge nicht ganz vergessen“

Coronakrise: Kocher sieht längerfristige Probleme und fordert, Schulzeit zu verlängern.
SCHWARZACH Gesundheitlich mag Corona weniger bedrohlich sein für Junge. Umso mehr setzt ihnen jedoch die Wirtschaftskrise zu, wie Martin Kocher, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), bestätigt. Sie würden eher zu schlechter bezahlten oder gar keinen Jobs kommen. Kocher hat eine Antwort darauf.
Die Regierung hat einen Pakt gegen Alterseinsamkeit und einen Aktionsplan gegen Armut angekündigt. Wäre nicht auch etwas für die Jungen angebracht?
Auf jeden Fall ist es wichtig, die Jungen nicht ganz zu vergessen. Gerade sie sind von den Problemen auf dem Arbeitsmarkt stärker betroffen als andere Gruppen.
Weil zu wenig freie Jobs verfügbar sind?
Alterskohorten, die in einer Rezession auf den Arbeitsmarkt kommen, sind sehr langfristig benachteiligt. Sie finden entweder nichts oder verdienen weniger oder haben andere Nachteile.
Was könnte man über den Lehrlingsbonus hinaus tun, um Jobeinstiegs- und Verdienstmöglichkeiten zu verbessern?
Das ist relativ schwierig. Vorstellbar wäre es, an weiterführenden Schulen, aber auch Universitäten und Fachhochschulen Kapazitäten auszuweiten, um die Leute aufnehmen zu können, die sich in den nächsten zwei, drei Jahren schwertun auf dem Arbeitsmarkt. Diese Möglichkeit sollte man für alle schaffen, die davon betroffen sind und ein solches Angebot in Anspruch nehmen wollen. Längerfristig wäre das auch von gesellschaftlichem Nutzen. Diese Leute würden ja etwas dazulernen.

Auffallend ist, dass bei Jungen nicht nur die Arbeitslosigkeit stärker steigt, sondern dass sie auch eher in Kurzarbeit gehen mussten. Wie ist das erklärbar?
Die Kurzarbeit würde ich nicht als großen Nachteil sehen. Anders ist das bei bei der Arbeitslosigkeit. Im Vergleich zu vor Corona ist sie auch bei Jüngeren substanziell geworden. Das war nie ein Problem in Österreich.
Zu noch Jüngeren, also Kindern bzw. Schülern: Viele waren am bisherigen Höhepunkt der Pandemie für die Schule nicht erreichbar. Und das waren eher auch noch diejenigen, mit denen Eltern weniger oder gar nicht lernen. Was bedeutet das?
Das ist wahrscheinlich das größte Problem. Alle Studien zeigen, dass die Schere zwischen den sozialen Schichten aufgeht. Dass die Schüler, die ohnehin schon benachteiligt sind, noch weiter zurückfallen. Das hat langfristige Folgen: Sie werden eines Tages eher arbeitslos sein, weniger verdienen oder die Mindestsicherung beziehen. Sollte es in diesem Schuljahr wieder zu massivem Homeschooling kommen, haben wir ein Problem, das nicht nur sozial, sondern auch volkswirtschaftlich von Dauer ist.
Was kann man tun?
Ideen für die Schule gibt es viele. Es hapert daran, dass sie nicht so kurzfristig umsetzbar sind.
Leiden Junge darunter, keine Lobby zu haben, die sich auf politischer Ebene für sie stark macht?
Politisch sind Ältere natürlich die stärkere Gruppe in einer Demokratie. Bei Fridays for Future (Klimaschutz-Bewegung) hat man jedoch gesehen, dass Junge sehr wohl in der Lage sind, sich zu artikulieren, wenn sie wollen. Das sollte man nicht unterschätzen.