Aus Albtraum noch nicht erwacht

Familie ist fassungslos: Covid nahm kerngesundem Andreas Mattei (57) das Leben.
LUSTENAU „Es ist für mich noch nicht Realität. Ich denke jeden Abend: Jetzt kommt Papa zur Tür herein.“ Lukas Mattei (22) senkt den Kopf und hält einige Sekunden inne. Dasselbe tun seine Mama Birgit (49) und Schwester Lisa (20). Alle drei sind sie noch nicht wirklich aufgewacht aus dem Albtraum, der sie in den letzten Wochen heimsuchte und ihr Leben völlig veränderte.
Noch Ende Oktober waren sie als Familie in Wien. Lisa und Lukas studieren dort. Sie Chinesisch, er Englisch und Geschichte auf Lehramt. Man hatte Spaß, wie immer, wenn die Familie zusammen ist. „Wir unternehmen ja so viel miteinander. Drei Mal waren wir schon in Amerika, einmal in China auf Rundreise, als Lisa dort studierte“, erzählt Mama Birgit.
Zurück in Lustenau. Bei Lisa und Birgit treten Covid-Krankheitssymptome auf, beide erwischt es ordentlich. „Andreas hat sich noch, so gut es ging, von uns ferngehalten, aber neun Tage später ging’s auch bei ihm mit Symptomen los“, erzählt die Mutter. Er liegt zu Hause mit hohem Fieber. Nach einer Woche sagt er: „Es geht mir wirklich schlecht.“ Man konsultiert den Arzt, es folgt die Überweisung nach Bregenz ins LKH.
Wird schon wieder, denken sich alle. „Der Andreas ist ja topfit. Regelmäßig geht er ins Fitnessstudio, am Wochenende in die Berge, ist mit seiner Frau viel mit dem Bike unterwegs. Er hat keine Vorerkrankung. „Da war gar nichts, auch nicht mit seiner Lunge“, sagt Birgit.
Plötzlich auf der Intensivstation
Im Krankenhaus nimmt das Schicksal seinen Lauf. Nach vier Tagen erfolgt die Verlegung auf die Intensivstation, Sauerstoffmaske, Rund-um-die-Uhr-Betreuung. „Ich hab‘ Probleme mit der Lunge, infektiöses Blut“, sagt er noch. Zum Spaßen ist Andreas trotzdem noch aufgelegt. Er schickt Bilder von der Intensivstation. Birgit besucht ihn. „Nur jenen, die Covid verharmlosen, wünschte er ein paar Minuten mit der Maske“, zitiert ihn seine Frau.
Als sich Andreas am 2. Dezember nicht von sich aus meldet, ruft Birgit im Krankenhaus an. „Es geht ihm nicht gut, sagte man mir. Sie brächten nicht genug Sauerstoff in seinen Körper. Andreas brauche eine ECMO-Therapie, eine ganz spezielle Art der Sauerstoffzuführung. Die sei nur in Innsbruck und Wien möglich, aber gegenwärtig seien alle Apparate besetzt.“ Andreas wird in künstlichen Tiefschlaf versetzt. Die Familie geht erstmals in die Kirche, zündet Kerzen an. Am 4. Dezember dann die gute Nachricht. Andreas kann mit einer fahrenden Intensivstation nach Wien ins AKH gebracht werden.
„Ein verpickter Knödel“
„Wir haben nie die Hoffnung verloren, dass alles gut wird“, sagt Lukas. Doch die schlechten Nachrichten häufen sich. Und es kommt eine nach der anderen. „Man berichtete uns, dass Andreas Blutungen im Brustbereich habe. Und dann teilte man uns mit: ‚Seine Lunge ist nur noch ein verpickter Knödel‘“, erzählt Birgit. Eine Lungentransplantation wird erwogen. Lukas: „Der Arzt beruhigte mich. Sie hätten damit Erfahrung. Sie würden das alle drei Tage machen. Ich musste für meinen Vater eine Menge Papiere unterschreiben.“
Es ist Weihnachten. Am 26. Dezember dann der Anruf vom AKH nach Lustenau. „Wir sollen kommen. Andreas‘ Niere und Leber versagen. Wir fuhren noch in der Nacht los.“ Im AKH erfahren die Matteis: Andreas wird seinen Kampf gegen Covid verlieren. „Er war noch an die Maschinen angeschlossen. Wir wurden gefragt, ob man diese abstellen soll, während wir da sind. Sodass wir beim Sterben dabei sein können“, erzählt Lukas ausdruckslos. Das wollen die Matteis nicht. Sie stehen nur fassungslos da, weinen, wollen nicht wahrhaben, was da passiert. Sie nehmen Abschied. Man werde nun die Medikamente langsam absetzen. Bis zum Tod könne es ein bis zwei Wochen dauern, wird ihnen mittgeteilt. Die Matteis gehen in den Stephansdom, zünden Kerzen an. Kurz darauf schon der Anruf: Papa ist tot.
Jetzt, zehn Tage nach der Beisetzung von Andreas Mattei, richtet Witwe Birgit eine Botschaft an alle Covid-Verharmloser: „Hört auf mit dem Kleinreden dieses teuflischen Virus. Wir haben unser Liebstes dadurch verloren.“
