Sie hatten sich viel zu erzählen

Schulleben nach Lockdown. Nicht alle Kinder kamen mit Absenz gleich gut zurecht.
SCHWARZACH Die Schule hat sie wieder, die rund 50.000 Schülerinnen und Schüler in Vorarlberg mit ihren Pädagogen. Die ersten vier Tage regulären Unterrichts des Jahres 2021 liegen hinter ihnen. Lehrer ziehen eine erste Bilanz darüber, wie sich die wochenlange Verbannung vom Präsenzunterricht auf ihre Schützlinge ausgewirkt hat.„Die sozialen Unterschiede wurden in dieser Zeit so deutlich wie nie“, sagt Christoph Wund (57), Direktor an der Volksschule Lustenau. „Es gab Kinder, die wurden von ihren Eltern gefördert und gefordert, haben diese Zeit gut überstanden. Aber da gab es eben auch das Gegenteil: Eltern, die in Nachtschichten arbeiten, keine Zeit für ihre Kinder hatten. Am Tag mussten sie schlafen, die Kinder waren auf sich allein gestellt. Einige haben sogar die ihnen bereitgestellten Computer verkauft“, berichtet der Schulleiter.
Die Schülerinnen und Schüler der Lehrerin Evi Hagen (45) blieben von negativen Folgeerscheinungen des Lockdowns großteils verschont. „Wir haben die Zeit der offiziellen Schulschließung gemeinsam mit Eltern und Schülern recht gut gemeistert. In der Schule machten wir eine Arbeitsteilung. Eine von uns Lehrerinnen war in der Betreuung tätig, eine andere kümmerte sich online um Eltern und Schüler. Aber natürlich ist das Lernen ausschließlich mit Arbeitsblättern nicht das Gleiche wie das Lernen und Unterrichten in der Schule“, berichtet Hagen. „Am ersten Tag des Wiedersehens ließen wir die Kinder erst mal nur ausführlich einander erzählen. Sie hatten sich viel zu erzählen.“ Hagens Kollegin Caroline Galler (33) von der VS Hohenems-Markt kann die sozialen Entzugserscheinungen in der Zeit der Schulschließung bestätigen. „Ich habe gleich gemerkt, mit welchem Kind man sich zu Hause mehr, mit welchem weniger beschäftigt hat. Ich denke, zur Ausgleichung von Defiziten sind die gewährten Förderstunden hilfreich.“ Als ehemalige Lehrerin in einer Deutsch-Förderklasse weiß Galler vom ersten Lockdown, wie negativ sich ein solcher besonders auf Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache auswirkt. „Die sind damals in ihrer sprachlichen Entwicklung stecken geblieben. Zu Hause sprach niemand Deutsch mit ihnen.“
Arme Fünftklässler
AHS-Lehrer Freddy Witwer (43) hat am BG Bludenz vor allem mit den Folgen des außergewöhnlich langen Lockdowns für Oberstufenschüler zu kämpfen. „Ich musste feststellen, dass speziell Fünftklässler, die sich ja als neue Klasse erst zusammenfinden müssen, besonders darunter gelitten haben“, berichtet der Mathematik-Lehrer. Positiv sei die enge Partnerschaft von Lehrern, Eltern und Schülern gewesen. „Das hat es in dieser Form noch nie gegeben. Wie wir leistungsmäßig dastehen, werden jedoch erst die kommenden Schularbeiten und Tests zeigen.“
Stichwort Förderstunden: Zwei pro Klasse und Woche sind vom Ministerium zugesagt. Freigegeben wurden die Mittel dafür noch nicht. Und an vielen Schulen fehlen die personellen Ressourcen, diese Stunden auch in Anspruch zu nehmen.
