VN-Interview: Was die Coronakrise den Frauen antut

Vorarlberg / 08.03.2021 • 05:00 Uhr
VN-Interview: Was die Coronakrise den Frauen antut
Christine Mayerhuber sah die Gleichstellung schon vor der Krise in der Krise. WIFO

WIFO-Expertin vermisst die Solidarität.

Schwarzach Die Coronapandemie hat der Gleichstellung einen heftigen Dämpfer verpasst. Christine Mayrhuber, Expertin am Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), urteilt noch schärfer: „Die ökonomische und soziale Gleichstellung war in Österreich schon vor der Krise nicht vorhanden.“  Ihre Hoffnung, Corona könnte so etwas wie eine Frauensolidarität quer durch alle Schichten bringen, hat sich ebenfalls nicht erfüllt. „Leider“, wie sie im VN-Interview zum Weltfrauentag bedauernd anmerkt.  

Wie sind Ihre Erfahrungen mit den Gleichstellungsbemühungen während Corona?

Mayrhuber Die besondere Betroffenheit der Frauen hat sicherlich dazu geführt, dass die Gleichstellung nicht vorangekommen ist, sondern die ökonomischen Abhängigkeiten eher gestiegen sind. Die Krise hat die Lücken bei den Einkommen verschärft. Auch der Pensionsnachteil der Frauen in Österreich ist im europäischen Vergleich überdurchschnittlich. Ebenfalls sehr ungleich verteilt sind die Einkommen zwischen Frauen und Männern bei den Selbstständigen. Viele Frauen haben aufgrund der Lockdown-Maßnahmen ihre unternehmerische Grundlage verloren.

Zahlen Frauen die Zeche der Krise?

Mayrhuber Die Kosten der Krise, nicht in Euro ausgedrückt, treffen die Frauen auf jeden Fall stärker als die Männer, und zwar auf allen Ebenen, als Erwerbstätige, als Sorgende, als Lehrende, als Kochende …

Der Anteil von Frauen in Teilzeitarbeit ist sehr hoch. Wird die Pandemie diese Entwicklung befeuern?

Mayrhuber Das lässt sich noch nicht bewerten, wir stecken ja noch mitten in der Krise. Was wir bislang sehen, ist, dass es eine große Gruppe von Frauen gibt, die ihren Job verloren haben, und dass Frauen von der Kurzarbeit in einem schwächeren Ausmaß profitieren. Wir sehen, dass 2020 die Zahl der geringfügig Beschäftigten deutlich zurückgegangen ist, aber ob es einen Trend gibt hin zu Teilzeitarbeit, ist schwer zu sagen.

Könnte Corona das Abschieben von Frauen in den Niedriglohnbereich verstärken?

Mayrhuber Es gibt Bereiche, wie den Tourismus, aber auch andere Branchen, wo das Einkommensniveau niedrig ist. Zu beurteilen, ob es ein Vor- oder Nachteil für die Frauen ist, hängt davon ab, welchen Standpunkt ich einnehme. Es ist vermutlich besser, eine aktive Beschäftigung zu haben, als ein Arbeitslosengeld, das wahrscheinlich geringer sein wird. Wenn Tourismus und Dienstleistungssektor wieder anspringen, haben wir vielleicht mehr Frauen mit geringen Einkommen, dafür jedoch herauszukommen aus der Arbeitslosigkeit wäre wohl ein Fortschritt. Kurzfristig ist das schwierig einzuordnen.

Welche Maßnahmen braucht es, damit die Gleichstellungsbemühungen wieder anziehen?

Mayrhuber Langfristig sind aus meiner Sicht die Fragen etwas anders zu stellen. Durch die vermehrte Digitalisierung muss der Arbeitsmarkt neu gestaltet werden. Typische Beschäftigungsfelder fallen weg. Was bleibt, sind Bereiche wie der Gesundheits- und Sozialbereich. Der wird sicher nicht schrumpfen und Frauen gute Erwerbschancen bieten. Vor dem Hintergrund, dass wir ein Krisenpaket von fast 40 Milliarden Euro auf den Weg gebracht haben, sollte es auch möglich sein, Arbeitsbedingungen und Entlohnung in diesen Berufen zu verbessern.

Müssten sich die Frauen nicht auch selbst mehr einbringen?

Mayrhuber Das ist eine schwierige Frage. Im Rahmen eines Projekts wurden Frauen unter anderem zum Pensionsnachteil befragt, und was sie tun würden, um diesen zu bekämpfen. Das Ergebnis war erschütternd: Zur Möglichkeit des Pensionssplittings sagten die Frauen durchwegs, dass sie diesen Konflikt zu Hause nicht haben möchten. Auf der einen Seiten verspüren Frauen einen hohen ökonomischen Druck, auf der anderen Seite scheuen sie sich jedoch, ihre eigenen Interessen sogar im engsten Umfeld zu artikulieren. Ich habe gehofft, die Krise würde eine Frauensolidarität quer durch alle Schichten bringen, dem war leider nicht so.

Was bedeutet der Weltfrauentag für Sie persönlich?

Mayrhuber Für mich ist der Tag sehr wichtig, obwohl ich, in die Zukunft blickend, nicht das Gefühl habe, dass auf dem Weg zu einer wieder etwas gerechteren Gesellschaft im Moment viel Dynamik vorhanden ist.