Extremsportler nach schwerem Unfall: “Gott ich danke dir für die schöne Zeit”

Vorarlberg / 22.04.2021 • 11:00 Uhr
Extremsportler nach schwerem Unfall: "Gott ich danke dir für die schöne Zeit"
Ewald Berchtold war Extremsportler. Nach einem Unfall musste er das Klettern und das Laufen aufgeben. Sein Körper machte nicht mehr mit. PHILIPP STEURER

Ewald Berchtold (67) gab in seinem Leben immer Vollgas. Erst ein schwerer Unfall bremste ihn ein.

Dornbirn Ewald Berchtold (67) war als Kind ein Wildfang, und was für einer. Am liebsten kletterte der Bub auf Bäume und Hausdächer. Ewalds Mutter wurde oft darauf angesprochen. „Siehst du, wo dein Sohn ist?“ Den kleinen Ewald konnte keiner bremsen.

Auch später gab der Schwarzenberger Gas. Aber wie! Als Tischlerlehrling kaufte er sich mit dem ersten Lohn Skier. „Dann ging es mit Skiakrobatik los.“ Ewald erzählt, wie er zum Trickskifahrer wurde: „Ich verfolgte im Fernsehen eine Sendung über Skiballett. Das hat mich so fasziniert, dass ich es mir selbst beigebracht habe.“ Nachsatz: „Es hat mir wahnsinnig Spaß gemacht.“ Mit 19 Jahren stürzte der Skiakrobat schwer. Der junge Mann erlitt Serienrippenbrüche und brach sich zwei Brustwirbel. Seine Genesung nahm Monate in Anspruch. Die Ärzte rieten ihm davon ab, seinen Beruf weiter auszuüben „Dann sei ich mit 30 invalide“, meinten sie. Der Tischler ließ sich zum Einrichtungsberater umschulen, heiratete, gründete eine Familie und baute ein Haus. Mit 40 Jahren hörte er zu rauchen auf. „Ab da fing ich an, extrem Sport zu betreiben.“

Wenn er Sport machte, am liebsten barfuß, ohne Helm und ungesichert, fühlte er sich frei. „Dann bin ich in meinem Element und im Einklang mit der Natur, dem Geist und dem Körper.“ Er trainierte hart, lief Marathons und Bergläufe, nahm an Mountainbikerennen teil und drehte als Langläufer seine Runden, aber nicht auf der Loipe, sondern im Tiefschnee. „Ich bin ein extremer Beißer und Kämpfer. Ich kann nicht anders. Das bin ich. Das ist mein Naturell“, merkt er dazu an.

Mit dem Mountainbike fährt Ewald auch im Winter, am liebsten folgt er den Spuren der Skitourengeher.
Mit dem Mountainbike fährt Ewald auch im Winter, am liebsten folgt er den Spuren der Skitourengeher.

Über den Alpenverein kam er zum Klettern. „Ich habe Bücher übers Klettern studiert und mit meinem Kollegen Toni Klettertouren gemacht.“ Ewald wäre nicht Ewald, wenn er es bei kleinen Touren belassen hätte. Der Wahl-Dornbirner machte in Nepal Hochtouren und bestieg 5000er und 6000er.

Im Himalaya bezwang der Dornbirner 5000er und 6000er.
Im Himalaya bezwang der Dornbirner 5000er und 6000er.

Einmal wäre er dabei fast ums Leben gekommen. „Ich stürzte in einer Gletscherrinne ab. Ich dachte mir: ,Jetzt ist es vorbei.‘ Aber dann erwischte ich zufälligerweise doch noch das Seil.“ Er blieb unverletzt und bezwang trotz dieses Vorfalls den Gipfel. „All meine Unfälle bremsten mich nicht, weil zu wenig passierte.“

Ewald kletterte am liebsten barfuß und ungesichert.
Ewald kletterte am liebsten barfuß und ungesichert.

Ein Unfall aber stellte ihn mächtig in den Senkel. Was am 23. Juni 2013 in Dornbirn passierte, würde reichlich Stoff für einen spannenden Film hergeben. Ewald war an diesem heißen Tag damit beschäftigt, einen gesicherten Steig durch steiles und felsiges Gelände zu bauen. Bereits in den Wochen davor hatte er Stahlseile in die Felsen hineingebaut und Stahlbrücken über Schluchten errichtet. Weil ein Kollege krankheitsbedingt ausgefallen war, verrichtete er die schwierige und gefährliche Arbeit allein.

Er war nicht gesichert, als er gegen 10.30 Uhr in steilem, felsdurchsetztem Gelände Material abseilte. „Ich hatte einen schlechten Stand und hielt mich am Materialseil fest. Plötzlich sprang das Seil aus der Halterung.“ Der zweifache Vater stürzte 20 Meter ab und schlug mehrfach am Boden auf. Einige Stunden später kam er zu sich. Er fand sich blutüberströmt auf einem schmalen Felsvorsprung wieder. „Eine Schulterumdrehung mehr und ich wäre weitere 20 Meter in die Tiefe gefallen.“ Schwer verletzt versuchte er in ein Gebiet zu robben, wo er ein Handynetz hatte. „Ich bin 30 Meter weitergekrochen und abermals im steilen Gelände abgestürzt. An einem kleinen Baum bin ich hängengeblieben.“ In dieser misslichen Lage musste er 33 Stunden ausharren, ehe er am nächsten Tag von einem Bergretter entdeckt wurde.

Ewald glaubte nicht daran, dass er überlebt. „Mir war klar, dass es an ein Wunder grenzen würde, wenn mich hier jemand fände.“ Er hielt Zwiesprache mit Gott, dankte ihm für die schöne Zeit und rief um Hilfe, wenn er in der Ferne ein Auto hörte. Als ihn der Wanderer entdeckte und ihm versprach, Hilfe zu holen, wurde Ewald bewusstlos. „Jetzt musste ich nicht mehr kämpfen.“

21 Knochenbrüche

Dieses dramatische Erlebnis blieb nicht ohne Folgen für den Extremsportler, der bei dem Unglück 21 Knochenbrüche erlitten hatte. Der Unfall machte ihn zum Invaliditätspensionisten. Sein rechter Fuß und seine Schultern bereiten ihm bis heute Probleme. „Ich muss täglich mehrere Schmerztabletten nehmen.“ Der 67-Jährige musste auch das Klettern und das Laufen aufgeben. „Zum Glück kann ich noch Mountainbike fahren.“ Aber nicht nur sein Körper, auch seine Seele wurde verwundet. „Ich bin seither nicht mehr so belastbar.“ Das Drama veränderte ihn als Mensch. Ewald wurde empfindsamer und dankbarer. „Ich war früher schon ein hilfsbereiter Mensch. Aber jetzt helfe ich anderen noch mehr.“ Auch Gott hat in seinem Leben jetzt einen größeren Stellenwert. „Er schaut auf mich, sonst gäbe es mich schon lange nicht mehr. Deshalb gehe ich an keinem Bildstock oder Kreuz vorbei ohne einen Gruß an Gott.“