Reinhard Haller

Kommentar

Reinhard Haller

Frauenmorde

Vorarlberg / 12.05.2021 • 15:00 Uhr

Bei richtiger Analyse der unser Land alarmierenden Serie von Frauentötungen zeigt sich, dass die Zahl weiblicher Opfer nicht höher ist als vor 30 Jahren. Tatsächlich gehen Mord und Totschlag bei uns seit Jahrzehnten kontinuierlich zurück, wobei Männer durch diesen Trend viel stärker begünstigt sind als Frauen. Wenn in Österreich mehr weibliche als männliche Opfer zu beklagen sind, hat dies auch mit dem hierzulande niedrigen Anteil an Bandenkriminalität und Verbrechen durch mafiöse Organisationen und Drogenkartelle zu tun. Darin sind fast ausschließlich Männer involviert, als Täter und Opfer gleichermaßen. Vereinfacht könnte man sagen: Das Böse spielt sich in einer im internationalen Vergleich gewaltarmen Gesellschaft nicht so sehr im kriminellen Raum, sondern mehr in den eigenen Wänden ab.

„Die so gar nicht zum Bild des starken Mannes passende Kränkbarkeit bleibt hinter der Fassade von Kraft und Stärke verborgen.

Geändert haben sich aber Art und Motive der Verbrechen. Während die früher dominierenden Sexualmorde, deren Opfer zu 90 Prozent weiblich waren, zurückgegangen sind, haben sich die Tragödien nun in den engsten Beziehungsbereich verlagert. Im Gegensatz zu den sonst dort dominierenden Affektdelikten, bei denen die Täter in höchster Erregung, gleichsam „blind vor Wut“, zugestochen und gewürgt haben, handelt es sich nun um gezielte Hinrichtungen: aus Rache, aus Eifersucht, aus Gekränktheit. Oft scheinen sich die Täter geradezu im Recht zu fühlen und ihre Tat kaum zu bedauern. In den vielen Diskussionen bleibt aber ein besonders tragischer Aspekt meist unberücksichtigt: Das Schicksal der Kinder, die durch solch furchtbare Taten gleichsam zu Vollwaisen werden. Neben der getöteten Mutter verlieren sie den zu jahrelanger Haft verurteilten Vater.

Die aktuelle Serie weist nicht nur auf das nach wie vor hohe Aggressionspotenzial besonders in der männlichen Bevölkerung hin, sondern ebenso auf die Unfähigkeit vieler Männer, mit drohendem Liebesentzug und Machtverlust fertig zu werden. Die so gar nicht zum Bild des starken Mannes passende Kränkbarkeit bleibt hinter der Fassade von Kraft und Stärke verborgen. Hier müssten präventive Maßnahmen neben besserer Hilfe für potenzielle Opfer ansetzen: in Enttabuisierung des Gewaltthemas in Beziehungen, in Früherfassung und Therapiezuleitung Gefährdeter, bei einem auch Schwäche und Verletzlichkeit zulassenden modernen Männerbild. Dass sich Femizide aber nie ganz vermeiden lassen, zeigt das Beispiel Schweden: Dort wurden viele Schutzmaßnahmen längst umgesetzt, trotzdem wird das Land derzeit von einer Welle von Gewalt an Frauen heimgesucht.

Univ.-Prof. Prim. Dr. Reinhard Haller ist Psychiater, Psychotherapeut

und früherer Chefarzt des Krankenhauses Maria Ebene.