Ich will da nicht hinein
Mein Haus am Land hat einen kleinen Dachboden, und ich habe ihn seit mehr als zehn Jahren nicht betreten. Ich weiß, dass Kästen darin herumstehen, ich erinnere mich an eine große Truhe aus Rattan und ein paar andere Sachen, die uns die Vorbesitzer dagelassen haben; Geschirr, ein paar große Töpfe. Ich glaube, dass ich vor Jahren einmal eine riesige Blumenvase hineingeschoben habe, die man nur einmal im Jahr für die Pfingstrosen brauchen kann, aber seither habe ich den Riegel der weiß lackierten Holztür nicht mehr geöffnet. Ich habe irgendwann ein paar Haken daran montiert, da hängt mein Arbeitsgewand. An die Blumenvase denke ich manchmal, wenn die Pfingstrosen blühen, so wie jetzt bald, aber ich wage es nicht, die Tür zu öffnen. Ich bin mir sicher, dass hinter dieser Tür Generationen toter Mäusefamilien verrotten, dass Wespennester alt und neu im First hängen und natürlich: Spinnen. Kleine, große und riesige Spinnen an jedem freien Zentimeter und ich glaube, dass ihre Spinnenbeutel, in denen sie ihre Spinnenbabys zu Hunderten ablegen, von den Dachbalken hängen. Ja, Spinnen sind ganz tolle Tiere! Sie fressen Mücken, ich weiß das alles! Trotzdem!
„Ich schreibe einer Freundin eine Whatsapp, dass ich mich nicht in meinen Dachboden traue.“
Jedenfalls. Übermorgen kommt der Rauchfangkehrer und macht Feuerbeschau, ich muss da rein, nach dem Rechten sehen, aufräumen, alle potentiell feuergefährlichen Sachen herausräumen.
Ich habe mir im Baumarkt einen Schutzoverall gekauft, so einen weißen, dünnen, wie früher die Papierjacken. (Papierjacken! Warum gibt’s das nicht mehr? Ich habe sie geliebt, als Kind. Man bekam sie von Versicherungen und Banken, ich erinnere mich, ich hatte eine mit einem Regenbogen am Rücken, vom Weltspartag glaube ich, die ich getragen habe, bis sie in Fetzen von mir herunterhing.) Ich habe auch eine Schutzbrille gekauft und die Arbeitshandschuhe zurechtgelegt und die Gummistiefel bereitgestellt.
Jetzt sitze ich in dem weißen Schutzoverall an meinem Computer und kann mich nicht überwinden, den Riegel der weißen Tür zu öffnen. So ein Overall ist ziemlich warm, ich schwitze. Ich schreibe einer Freundin eine Whatsapp, dass ich mich nicht in meinen Dachboden traue. Die Freundin whatsappt zurück, dass ich dort sicher viele schöne Dinge finden werde, ich solle es einfach betrachten wie einen unverhofften Flohmarkt. „Du liebst doch Flohmärkte“, schreibt die Freundin. Ja! Aber!
Aber der Gedanke ist motivierend. Stand da nicht so ein Stapel mit schönen alten Panzerteller oben, von den Vorbesitzern? Ich glaube schon, soweit ich mich erinnere. Und da war doch auch dieser große antike Kristall-Flakon, der sich sehr gut als Trinkwasserflasche eignen würde… Und die Vase brauch ich auch bald, für die Pfingstrosen. Gut. Okay. Atmen. Ich geh da jetzt hinein.
Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.
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