Erlesener Zierrat
Unlängst über diese Anzeige gestolpert: Verkauft wird eine „große Sammlung von 305 Büchern, die sich über zwölf Meter Regale erstrecken“. Es handelt sich um „wunderschöne in Leder gebundene Bücher“ mit einem „Durchschnittsalter von 100 Jahren”. Sie tragen „genau die richtigen Alters- und Gebrauchsspuren“ und eine „Vielzahl von Farben“ zur Schau, sind aber „meistens braun mit goldenen Buchstaben“.
Aber was, um Himmels willen, steht drin? In welcher Sprache sind sie verfasst? Das bleibt unerwähnt, denn es spielt keine Rolle. Verkauft werden die Bücher als „perfekte Dekoration eines Büros, einer Männerhöhle oder einer Cocktailbar“. So wie man Vorhänge auswählt oder eine Tapete: „Ach, wir nehmen drei Laufmeter von den roten, die passen so gut zum Kirschholztäfer!“
Nun, der Gebrauch von Büchern als Dekoration in Männerhöhlen erklärt den Verfall unserer Gesellschaft zwar nicht zur Gänze, aber doch annähernd. Man erahnt, wo all die Brockhaus-Bände geblieben sind, die vor Jahren noch bürgerlichen Wohnzimmern den Anschein höherer Bildung verliehen. Im Stillen wünscht man sich, dass der erlesene Zierrat wenigstens den einen oder anderen Roman von Joseph Roth enthält. „Die Legende vom heiligen Trinker“ wäre nett. Wenn die dann eine Cocktailbar veredelt, fühlen sich alle zu Hause: der Barkeeper, sein Gast und die dekorative Literatur im Hintergrund.
Thomas Matt
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