Hundertjährige
Vergangenes Jahr hat die österreichische Bundesverfassung ihren 100. Geburtstag gefeiert. Aus den geplanten Feierlichkeiten ist wegen Corona leider nicht viel geworden. Im Herbst dieses Jahres ist die liechtensteinische Verfassung an der Reihe. Sie ist nicht nur fast zeitgleich wie die österreichische Verfassung entstanden, sondern hat auch eine wichtige Institution von ihr übernommen: ein Verfassungsgericht, das die Rechte der Bürgerinnen und Bürger schützt und den Gesetzgeber kontrolliert.
Diese Errungenschaft war die bahnbrechende Leistung der österreichischen Bundesverfassung und ihres Schöpfers Hans Kelsen. Der liechtensteinische Staatsgerichtshof erhielt sogar noch weitreichendere Kompetenzen als der österreichische VfGH. Das ist ein schönes Beispiel, dass Gesetzgeber voneinander lernen und ihre Verfassungen weiterentwickeln können.
Liechtenstein kann zwar auf keinen Hans Kelsen verweisen, dafür aber auf einen Vorarlberger, Josef Peer, der bei uns heute weitgehend vergessen ist. Auf der Homepage des Vorarlberger Landtags findet sich jedoch sein Lebenslauf unter den Biografien der Abgeordneten. Peer war vor 1914 viele Jahre Abgeordneter des Landtags, daneben Bürgermeister der Stadt Feldkirch und Präsident der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer. Er wechselte 1917 in den Verwaltungsgerichtshof nach Wien.
Als der Fürst jemanden suchte, der eine neue Verfassung für das kleine Land ausarbeiten sollte, war Peer die ideale Besetzung für diese Aufgabe: Ein ausgezeichneter Jurist, der politische Erfahrung hatte und den Dialekt der Landesbevölkerung sprach. Er war auch ein Liberaler, der sich in den Verhandlungen erzkonservativen Forderungen der katholischen Kirche widersetzte. Sein Auftrag lautete, innerhalb eines halben Jahres eine Verfassung zu schaffen, die Monarchie und Demokratie miteinander vereinigte und einen modernen Katalog von Grundrechten enthielt.
Heute zählt die liechtensteinische Verfassung mit zu den ältesten Konstitutionen der Welt, ein Zeichen, dass sie sich bewährt hat. Im Gegensatz zur österreichischen Bundesverfassung war sie auch nie durch Diktatur außer Kraft gesetzt. Wollen wir hoffen, dass unsere Nachbarn der Grundlage ihres Staatswesens im Herbst ein schönes Fest bereiten können.
„Das ist ein schönes Beispiel, dass Gesetzgeber voneinander lernen und ihre Verfassungen weiterentwickeln können.“
Peter Bussjäger
peter.bussjaeger@vn.at
Peter Bußjäger ist Direktor des Instituts für Föderalismus und Universitätsprofessor in Innsbruck.
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