Wie Kindern im häuslichen Unterricht Gefahr drohen kann

Vorarlberg / 07.08.2021 • 05:45 Uhr
Wie Kindern im häuslichen Unterricht Gefahr drohen kann
Schule ist nicht nur ein Ort zum Lernen, sondern vor allem auch für Sozialisation und Kommunikation. Symbolbild: VN/Steurer

In Österreich genügt eine Anmeldung bei der Behörde. Und schon kann ein Kind von der Bildfläche verschwinden.

Bregenz Die Kinder- und Jugendanwälte Österreichs sind in Sorge. Grund: Immer mehr Kinder und Jugendliche werden von ihren Eltern zum häuslichen Unterricht von den Schulen abgezogen. 2320 waren es bundesweit im vergangenen Schuljahr, das ist ein Anstieg um 22 Prozent innerhalb der vergangenen fünf Jahre.

Zu jenen, die sich angesichts dieser Zahlen Sorgen machen, gehört auch der Vorarlberger Kinder- und Jugendanwalt Michael Rauch. “Der häusliche Unterricht bedeutet ein geschlossenes System mit einem Gefährdungspotenzial. Eltern melden ihre Kinder von der Schule ab. Sie können den Unterricht zu Hause organisieren. Das Kind muss dann am Ende des Schuljahres lediglich eine externe Prüfung als Leistungsnachweis ablegen”, erklärt Rauch.

Verschwinden vom Radar

Das Problem dabei: Die Kinder verschwinden vom Radar des Schulsystems und jeglicher öffentlicher Wahrnehmung. Mehrere Fälle belegen, dass sie dabei oft isoliert, manipuliert sowie an Körper und Seele geschädigt werden. “Wir Kinder- und Jugendanwälte fordern eine ausdrückliche Bewilligungspflicht für die Anmeldung zum häuslichen Unterricht. Die Eltern müssen zu einem Gespräch gebeten werden. Häuslicher Unterricht sollte nur in begründeten Fällen erlaubt sein”, betont Rauch.

Wir fordern eine ausdrückliche Bewilligungspflicht für die Anmeldung zum häuslichen Unterricht.”

Michael Rauch, Kinder- und Jugendanwalt

In Deutschland etwa ist häuslicher Unterricht generell untersagt, in Österreich beruft man sich diesbezüglich auf ein Staatsgrundgesetz aus dem Jahr 1867.

Sekten, Systemverweigerer

Zum häuslichen Unterricht angemeldet werden unter anderem Kinder von Sektenmitgliedern, Systemverweigerern und immer mehr auch von Leuten, die sich vehement gegen die Covid-19-Maßnahmen auflehnen oder Corona leugnen. “Die Herausnahme der Kinder aus der Schule dient diesen Menschen als Maßnahme gegen das, was sie ablehnen. Das Kindeswohl haben sie dabei nicht im Auge”, weiß Rauch. “Wir brauchen das Gespräch mit allen Eltern, die ihre Kinder aus der Schule herausnehmen wollen. Wir müssen wissen, warum sie das tun.”

Kinder- und Jugendanwalt Michael Rauch weist auf das Gefährdungspotenzial des häuslichen Lernens hin. <span class="copyright">VN/Rauch</span>
Kinder- und Jugendanwalt Michael Rauch weist auf das Gefährdungspotenzial des häuslichen Lernens hin. VN/Rauch

Gemäß UN-Kinderrechtskonvention haben Kinder auf Grundlage der Chancengleichheit das Recht, die bestmögliche Bildung, die ihren Talenten und Fähigkeiten entspricht, zu erreichen. Diese Bildung muss sich an einem verantwortungsbewussten Leben in einer freien Gesellschaft im Geiste des Friedens, der Toleranz, Gleichberechtigung der Geschlechter sowie Demokratie und Weltoffenheit orientieren.

Ort für Sozialisation

Rauch weist darauf hin, dass es sehr wohl plausible Gründe für häuslichen Unterricht gibt. Diese könnten sein: Krankheit, Gefährdung durch Mobbing, besondere familiäre Umstände. “Es gibt durchaus auch Gruppen, die im häuslichen Unterricht hochwertige Bildung gewährleisten. Ich möchte diesbezüglich etwa die Freilerner erwähnen. Die schicken ihre Kinder auch in allgemein zugängliche Vereine und isolieren sie nicht.”

Generell sei die Schule jedoch nicht nur ein Lernort, sondern vor allem auch ein Ort für Sozialisation und Kommunikation. Etwas, was für Kinder und Jugendliche unentbehrlich ist.