Palliativpatient: Abschied vom Leben in kleinen Schritten

Werner Nachbaur (64) ist todkrank. Die VN sprachen mit dem dreifachen Vater auf der Palliativstation im Krankenhaus Hohenems über das Leben und den Tod.
Hohenems Der Tod kam früh in sein Leben. Werner Nachbaur war 13 Jahre alt, als sein Vater kurz vor Weihnachten starb. Die letzten Worte, die er von seinem Papa hörte, waren: „Rosa, kauf unseren Kindern was Schönes. Ich komm’ nicht mehr heim.“ Der Tod war dem Familienvater bereits ins Gesicht geschrieben. Aber Werner sah keine Angst in seinen Augen. „Papa fürchtete sich anscheinend nicht vor dem Tod.“
Heute, mehr als 50 Jahre später, steht der Tod vor Werners Tür. Aber das bringt den 64-Jährigen nicht aus der Fassung. Denn: „Ich habe absolut keine Angst vor dem Tod. Er gehört zum Leben wie die Geburt oder Krankheiten.“ Werner hat jedes Ereignis, das ihm in seinem Leben widerfuhr, angenommen. „Jedes Schicksal, das mich traf, habe ich akzeptiert.“ Nie stellte er sich gegen das, was ist. Vielmehr versuchte er immer, aus jeder Situation das Beste zu machen. Mit dieser Einstellung manövrierte er sich gut durchs Leben. Nun, da er vor dem letzten großen Ereignis seines Lebens steht, tut er sich nicht schwer, auch in dieses einzuwilligen. Ergebung statt Kampf – das war und ist seine Devise.
An Darmkrebs erkrankt
Der Klauser hat den Tod in seinem Leben nie ausgeklammert. „Ich beschäftige mich schon lange mit ihm. In ruhigen Minuten habe ich über ihn nachgedacht.“ Vor sechs Jahren erkrankte der dreifache Vater an Darmkrebs. Seither denkt er noch intensiver über den eigenen Tod nach. Dass mit dem Tod alles aus sein soll, kann sich Werner nicht vorstellen. „Wir wissen nicht, was danach kommt. Aber irgendwo existieren wir nachher und dort ist es wunderschön“, ist er fest überzeugt. Seine Überlegungen reichen aber noch weiter. Der todkranke Mann meint: So wie ein Mensch seine verschlissenen Kleider fortwirft, so wirft die verkörperte Seele beim Tod ihren ausgetragenen Körper ab. „Dieser ist nur eine Hülle für die Seele.“

Werner ist sein Körper zur Last geworden. Er versagt immer mehr seinen Dienst. Der Krebs kam trotz zweier Operationen zurück, die Beine tragen ihn nicht mehr, weil sie am Absterben sind. Der Tod rückt immer näher. „Entweder sterbe ich am Krebs oder einer Blutvergiftung.“ Der ehemalige Programmierer hofft, dass das Leben ihm noch ein letztes Geschenk macht. „Ich würde so gerne noch mit meiner Frau, meinen drei Kindern und meinen fünf Enkeln Weihnachten feiern“, sagt er mit bewegter Stimme und feuchten Augen.
Der schwerkranke Mann hadert nicht mit seinem Schicksal, aber hin und wieder betrauert er es. „Es ist sehr schade, dass ich meine Enkel nicht mehr aufwachsen sehen kann. Das hätte ich mir von Herzen gewünscht.“ Enkel zu haben, sei etwas Wunderschönes, sagt er. „Für mich machen Kinder keine Fehler. Man soll sie so sein lassen, wie sie sind.“ Vielleicht gilt Opa Werner deshalb so viel.
Gutes Leben mit viel Arbeit
Dass er Ehemann, Vater und Großvater werden durfte, sieht er als Glücksfall an. „Überhaupt hatte ich ein sehr gutes Leben. Ich habe all meine Ziele, die ich mir als Jugendlicher gesetzt habe, erreicht.“ Mit 40 Jahren wollte der junge Mann seine eigene Firma haben, mit 60 mit dem Arbeiten aufhören. Der Weg zum Erfolg war aber mit harter Arbeit gepflastert. Zunächst arbeitete der gelernte Anlagenelektriker in seinem angestammten Beruf – bis er seine Affinität zu Computern entdeckte. „Am Tag habe ich gearbeitet, in der Nacht brachte ich mir das Programmieren bei. So legte ich den Grundstock zur Selbstständigkeit.“ Zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr arbeitete Werner sehr viel. „Ich bin oft erst um 23 Uhr heimgekommen und war auch häufig an den Wochenenden in der Firma.“ Mit 56 verkaufte er sein Unternehmen in der Hoffnung, „dass ich noch ein paar schöne Jahre habe“. Mit 58 bekam er die Diagnose Darmkrebs. Seitdem überschattet die todbringende Krankheit seinen Alltag.
Diese gab ihm aber in den vergangenen sechs Jahren die Chance, alle Ungereimtheiten in seinem Leben auszuräumen und sich peu à peu vom Leben und von seiner Familie zu verabschieden, die durch seine Krankheit noch mehr zusammengerückt ist. Werner würde am liebsten zu Hause, im Kreis seiner Lieben, sterben. Oder aber auf der Palliativstation im Krankenhaus Hohenems, wo er derzeit gerade Patient ist. „Das Personal hier ist so bemüht und herzlich. Eine solche Station sollte es in jedem Spital geben“, findet er. Obwohl er hier bestens betreut wird, auch medizinisch, hofft er, dass er bald wieder nach Hause gehen kann – zu seiner Frau Christine, die ihn seit Jahren aufopferungsvoll pflegt. „Diese Frau liebt mich. Das ist offensichtlich. Aber ich liebe sie auch sehr. So eine Frau muss man mögen“, meint er und sinkt erschöpft aufs Krankenlager zurück.