Silvia Schneider geht hin, wo niemand hin will

Vorarlberg / 14.11.2021 • 18:15 Uhr
Silvia Schneider betritt Tatorte nur in voller Schutzmontur. Anders wäre ihre Tätigkeit nicht machbar. RP
Silvia Schneider betritt Tatorte nur in voller Schutzmontur. Anders wäre ihre Tätigkeit nicht machbar. RP

Tatortreinigerin: Die 47-jährige Eggerin hat mit verwesenden Leichen und grausig verunstalteten Wohnungen zu tun.

LUSTENAU Silvia Schneider kennt nicht den Tag und nicht die Stunde. Wenn das Telefon klingelt und man ihr sagt: „Da gibt es eine Wohnung mit einer verwesenden Leiche. Die sollte man räumen und reinigen.“

Es sind dies die Stunden mit freier Sicht auf die Abgründe des Lebens. Oder auf den Tod unter besonders abstoßenden Umständen. „Ich mache das seit 2019 professionell. Zehn Wohnungen und Häuser mit länger dort liegenden Leichen und zum Teil unvorstellbaren Sauställen habe ich schon geräumt und gereinigt“, sagt Schneider.

Flugzeuge statt Puppen

„Das Leben hat mich zu diesem Job geführt“, sagt die ausgebildete Werkzeugmacherin, der typisch feminine Berufe immer schon so fremd waren wie einem Veganer eine Schweinshaxe. „Als Kind habe ich lieber mit Modellflugzeugen gespielt als mit Puppen.. Als ich dann später in der Schweiz arbeitete, habe ich in meiner Freizeit erste Erfahrungen in diesem Job gesammelt.“ 2014 wurde Silvia schwer krank. Sie legte für sich einen eigenartigen Schwur ab. „Sollte ich gesund werden, werde ich Tatortreinigerin.“ Sie wurde gesund, und sie wurde tatsächlich Tatortreinigerin. Mit der dafür notwendigen Ausbildung an den Robert Koch-Instituten in München und Stuttgart. Sie lernte alles über Desinfektiologie und Tatortreinigung.

Der erste Fall

Ihr erster Fall in voller Verantwortung kam im Jahr 2019. „Ein Messi und Alkoholiker, der länger tot in seiner Wohnung lag. Der Raum voll mit Bierdosen, Zigarettenstummeln, Fäkalien. Dazu natürlich Schwärme von Insekten und der übliche Gestank. Das volle Programm.“ Silvia Schneider hat gelernt, mit solchen Erlebnissen umzugehen. „Aber ich habe mich zugegeben auch schon einmal übergeben müssen. Das geht allen so. Es passierte mir, als ich in einer Wohnung einmal stolperte und mitten hinein in den Unrat fiel.“

Natürlich betritt sie solche Tatorte nur mit Schutzanzug und Atmungsgerät. Dann wird die sich zum Teil verflüssigende Leiche fachgerecht weggeschafft und die sogenannte Kernsanierung beginnt. „Diese ist sehr umfassend. Es müssen die Möbel raus, der Boden wird herausgerissen, Rigipswände entfernt und auch der Verputz abgekratzt. All diese Gegenstände landen in einem Gefahrencontainer. Sie werden letztlich in der Verbrennungsanlage Buchs verbrannt.“ Eine Kernsanierung kann bis zu zwei Monate dauern.

Die Rituale

Silvia Schneider hat sich ihre eigenen Rituale zugelegt. „Am Tatort spreche ich mit dem Toten. Ich sage ihm oder ihr, dass ich jetzt sauber mache, und dass dies sicher auch in seinem oder ihrem Sinne ist.“

Zu Hause zündet sie für jeden ihrer Klienten als Zeichen des Respekts eine Kerze an. „An einem solchen Tag stehe ich dann auch eine volle Stunde unter der Dusche“, verrät die Frau mit dem außergewöhnlichen Beruf.

Dass eine Tätigkeit wie die ihre auch schöne Seiten hat, ist schwer vorstellbar. Doch die gibt es für Silvia Schneider. „Das Schöne ist, wenn du mit deinem Team gut harmonierst. Das tu ich. Deswegen kann ich diesen Job auch machen“, sagt sie. Und dann gibt es da ja auch noch ihre zwei Katzen, die der Tatortreinigerin zu Hause angenehme Zerstreuung bieten.

Am Tatort spreche ich immer mit dem Toten. Zu Hause, zünde ich für ihn eine Kerze an.

Silvia Schneider ohne Schutzkleidung.
Silvia Schneider ohne Schutzkleidung.
Dieser Job ist nichts für Zartbesaitete.
Dieser Job ist nichts für Zartbesaitete.