Anna Maria Ritter: Ihr steiniger Weg vom Mann zur Frau

Im Alter von 15 Jahren war Thomas Ritter klar, dass er im falschen Körper steckt und er kein Bub, sondern ein Mädchen ist.
Götzis Bereits als Fünfjähriger fühlte Thomas Ritter, dass etwas nicht in Ordnung war. „Irgendetwas fühlte sich nicht richtig an.“ Dieses Gefühl begleitete ihn durch seine Kindheit. Der Sohn eines Fußballers (Rapid) und einer Eiskunstläuferin wuchs mit einer jüngeren Schwester in Wien auf.
„Ich beneidete sie darum, dass sie das Mädchen war und Kleider tragen konnte. Ich dachte mir: ,Ich bin das auch, darf aber keine Kleider anziehen.‘“ Der Vater brachte seinem Sohn das Fußballspielen bei. „Dabei hätte ich lieber Tennis gespielt, so wie meine Schwester.“ Aber Thomas erfüllte die Erwartungen des Vaters und fügte sich in die Rolle des Sohnes. Aus ihm wurde ein guter Stürmer, der in der Landesliga spielte. „Ich verletzte mich aber oft.“ Rückblickend sieht die 51-Jährige das nicht als Zufall an. „Das war ein Zeichen, dass ich auf dem falschen Weg bin, dass es nicht der Weg zu meiner wahren Identität ist.“

Im Alter von 15 Jahren war Thomas klar, dass er im falschen Körper steckt und er kein Bub, sondern ein Mädchen ist. “Ich war innerlich immer schon ein Mädchen. Der Bub war die Hülle. Das Äußere und das Innere passten bei mir nicht zusammen.” Thomas machte alles mit sich selbst aus, er vertraute sich niemanden in der Familie an.
Aber indirekt wurde er bei der Suche nach der eigenen Identität von seinem Opa und seiner Mama unterstützt. “Mein Opa gab mir stets das Gefühl, dass es vollkommen in Ordnung und gut sei, wie ich bin.” Wichtige Stütze und Anker in seiner Kindheit war zudem die Mutter, die ihm auch und gerade in schwierigen Zeiten Zuversicht vermittelte. Dass der “Bub” den Mut hatte, den eigenen Weg zu gehen, den Weg vom Thomas zur Anna Maria, verdankte er aber noch jemandem. “Ich war als Kind ein großer Fan von Pippi Langstrumpf. Dieses freche und mutige Mädchen imponierte mir.”

Der Weg zur Frau war aber mit Steinen gepflastert. Zunächst glaubte der Datenverarbeitungskaufmann und Controller noch, er könnte als Mann glücklich werden. Aber das Gegenteil war der Fall. Er wurde immer unglücklicher. Mit 30 war Thomas so verzweifelt, dass er seinem Leben ein Ende setzen wollte. Eine Eingebung hielt ihn im letzten Augenblick von dem finalen Schritt ab. “Eine innere Stimme sagte mir: ,In deinem Leben kommt noch was.'”
Mit 47 Jahren war Thomas bereit für die Geschlechtsangleichung. “Ich wachte auf und wusste: ,Jetzt beginne ich den Weg zur Frau.” Zunächst unterzog sich Thomas einer Hormontherapie. Im Jahr 2018 outete er sich bei seinen Eltern und Freunden. “Das erforderte schon großen Mut.” Anfang 2019 beschloss er als Frau in Vorarlberg ein neues Leben anzufangen. “Ich kam als Anna Maria nach Vorarlberg.” Den letzten Schritt auf dem Weg zur Frau setzte Anna Maria im Oktober 2019 mit der geschlechtsangleichenden Operation. “Alles ging glatt. Nach der OP weinte ich vor Glück.” Anna Maria fand schnell ins Frau-Sein hinein. “Mir fiel es leicht, weil ich innerlich immer schon eine Frau war.”

Fürs vollkommene Glück fehlte ihr jetzt nur noch der passende Job. Nach einem achtwöchigen Praktikum gab das Kinderdorf Vorarlberg, das Kinder und Jugendliche unterstützt, die aus sozialen, emotionalen oder psychischen Gründen eine Begleitung benötigen, Anna Maria eine weitere Chance und stellte sie als pädagogische Mitarbeiterin ein. “Ich spürte sofort, das ich an diesem Platz richtig bin und dass ich hier meine Lebenserfahrung und meine Stärken einbringen kann. Es erfüllt mich, Kinder auf ihrem Lebensweg ein Stück weit zu begleiten und ihnen zu vermitteln, dass sie so, wie sie sind, richtig sind.” Anna Maria sieht sich – aufgrund ihres eigenen Lebensweges – als authentische Perspektiven-Geberin für die Kinder. “Dass ich ein Mädchen im Körper eines Buben war, sehe ich rückblickend als Geschenk. Es hat mich zu der gemacht, die ich heute bin.”
Anna Maria Ritter
geboren 8. Oktober 1970 in Wien
Familie geschieden
Ausbildung Datenverarbeitungskauffrau, Controllerin
Beruf pädagogische Mitarbeiterin im Kinderdorf Vorarlberg
Hobbys Volleyball, berufsbegleitendes Psychologiestudium