Warum für den Historiker Harald Walser Putin ein Kriegsverbrecher ist

Vorarlberg / 27.02.2022 • 16:30 Uhr
Warum für den Historiker Harald Walser Putin ein Kriegsverbrecher ist
Harald Walser ist wie viele andere erschüttert von den Bildern aus der Ukraine. Selbst er hat die Dimension des Krieges unterschätzt. VN/Sams

Grundloser Angriffskrieg unter Bruch des Völkerrechts: Walser rechnet mit Putin ab.

Altach Der Historiker und VN-Kolumnist Harald Walser (68) hat erst nach Putins Rede unmittelbar vor Ausbruch des Krieges mit einem bewaffneten Konflikt gerechnet. Jetzt besitze Putin keine Exit-Strategie mehr. Der russische Präsident habe ein Kriegsverbrechen zu verantworten.

Wie ist dieser Krieg in der Liste der europäischen Kriege der Neuzeit historisch einzuordnen?

Es ist dies ein Krieg ohne jeden Anlass. Das ist im Europa der weiteren Gegenwart etwas Neues. Man kann diesen Konflikt auch nicht vergleichen mit dem Jugoslawien-Krieg. Da lagen völlig andere Hintergründe vor.

Womit kann man diesen Krieg dann vergleichen?

Angriffskriege in dieser Form erinnern mich an den Überfall Japans auf China. Wobei es dort zu furchtbaren Massakern an der Zivilbevölkerung kam. Zumindest das ist in der Ukraine nicht der Fall. Auch die Afghanistan-Kriege tragen ein ähnliches Muster. Der Einmarsch in die Ukraine wurde völlig willkürlich mit abenteuerlich grotesker Begründung vom Zaun gebrochen. Das macht sprachlos.

Wie gefährlich ist dieser Konflikt für die europäische Nachkriegsordnung?

Diese Ordnung gerät auseinander. Es könnten andere nun auch auf die Idee kommen, die Kraft der Überlegenheit auszunützen und sich nicht mehr um Völkerrecht und verbindliche Verträge zu kümmern. Es zeigt sich in einigen europäischen Staaten schon jetzt eine Entwicklung hin zu autoritären Staaten. Da muss man überlegen, was für Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind.

Was für Schlussfolgerungen könnten das sein?

Wir müssen uns Gedanken über das jetzige EU-Gebilde machen und auch darüber, ob unsere Neutralität noch aufrechtzuerhalten ist. Wir müssen solidarisch sein. In Zeiten von Putin und Trump brauchen wir ein starkes Europa.

Sie sprachen von Signalwirkungen. Steht zu befürchten, dass so ein Angriffskrieg Nachahmer findet?

Es besteht die Gefahr, dass der eine oder andere Machthaber jetzt leichter mit dem Gedanken spielen könnte, mit Gewalt seine Ziele zu erreichen. Umso wichtiger wird es sein, klare politische und wirtschaftliche Reaktionen auf Putin zu finden. Reaktionen, die aber nicht das Volk treffen. Was schwierig genug ist.

Ist Putin ein Kriegsverbrecher?

Ein solcher Angriffskrieg ist ein Kriegsverbrechen, ein strafbarer Akt. Das muss Folgen haben. Leute, die solche Dinge tun, sind Kriegsverbrecher.

Putins Scheindiplomatie mit Macron und Scholz vor Kriegsbeginn erinnert an 1938, als Hitler die Westmächte über seine wahren Absichten täuschte. Sehen Sie das auch so?

Es besteht kein Zweifel darüber, dass Putin die wichtigsten Regierungschefs in der EU mit dem Nasenring durch die Manege gezogen hat. Aber Parallelen zu 1938 sehe ich nicht unbedingt. Damals haben vier Staaten über einen fünften, der nicht anwesend war, geurteilt. Selbst wenn auch damals getäuscht wurde.

Haben Sie als Historiker mit dieser Eskalation gerechnet?

In den Monaten davor hielt ich das für unmöglich. Aber nach der Rede von Putin, in der er vom Territorium Ukraine und nicht vom Staat Ukraine sprach, war für mich klar, dass etwas kommen musste. Aber was kam, hat alle vorstellbaren Dimensionen übertroffen. Jetzt spielt Putin alles oder nichts. Er hat nach allem, was passiert ist, auch keine Exit-Strategie mehr. Wobei der ukrainische Nationalismus vor nicht allzulanger Zeit für die russisch geprägte Gesellschaft im Land nicht angenehm war. Man hat diese Ängste nicht ernst genug genommen. Da wurde im Parlament zum Beispiel darüber gesprochen, die russische Sprache als Staatssprache abzuschaffen. Doch zuletzt gab es positive Entwicklungen.

Wie sehr gefährden solche Aggressionen demokratische Grundstrukturen in Europa?

Dieser Konflikt zeigt, wie zerbrechlich eine Demokratie sein kann. Demokratie ist kein Lichtschalter, den man beliebig ein- und ausschalten kann. Es sind einige Staaten in Europa unterwegs zu weniger Demokratie. Das macht Sorgen.