Johannes Huber

Kommentar

Johannes Huber

Frieren lassen

Vorarlberg / 12.11.2022 • 06:29 Uhr

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) lässt Menschen in Zelten frieren, um der Öffentlichkeit zu signalisieren, dass es zu viele gebe.

Gemeint sind Geflüchtete. Parteipolitisch motivierte Stimmungspflege ist ihm wichtiger als Würde. Das lässt grundsätzlich tief blicken, ist nun aber extra-verhängnisvoll: Die größere Herausforderung kommt erst. Im kalten Winter. Der russische Präsident Wladimir Putin ist dabei, die Ukraine zu entvölkern. Die gezielte Zerstörung der Energieversorgung wird in den kommenden Monaten noch mehr Zivilisten in die Flucht treiben.

Was macht Karner dann, wenn er jetzt schon so tut, als würde nichts mehr gehen? In Wirklichkeit hat er kein Interesse an Konstruktivem, weil ein politisches Gen in ihm steckt, das gegen Migration gerichtet ist und das daher ausschließlich auf tägliche Panikmache ausgerichtet ist. Das rächt sich: Dass bereits mehr Geflüchtete als 2015 grundversorgt, also betreut werden müssen, ist auf die Frauen und Kinder sowie nicht wehrpflichtigen Männer aus der Ukraine zurückzuführen. Dass es im Gesamtjahr zusätzlich mehr Asylanträge geben dürfte als damals, hat unter anderem damit zu tun, dass seit geraumer Zeit indische Staatsangehörige vermehrt visumfrei über Serbien nach Europa kommen.

„Die größere Herausforderung kommt erst. Im kalten Winter, wenn noch mehr Menschen aus der Ukraine fliehen werden.“

Hier wären Lösungen gefragt, die sehr unterschiedlichen Problemstellungen gerecht werden. Aber nein, Karner spielt lieber Herbert Kickl und den übrigen Freiheitlichen in die Hände. Das mit der Ukraine würden sie so lösen, dass die Sanktionen gegen Russland aufgehoben sowie die EU-Beitragszahlungen eingestellt werden, damit kein Cent mehr aus Österreich über Brüssel in die Ukraine fließt, das Land also russisch wird. Dann hört sich das mit den Fluchtbewegungen irgendwann auf, so das zynische Kalkül. Im Übrigen fordern Kickl und Co. einen Asylstopp, und als erste Türkise stimmt ihnen Ex-ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner auch schon zu.

Der Innenminister gehört nicht nur daran gemessen, wie er eskaliert, sondern auch daran, was er zusammenbringt. Wenn er, am besten mit Hilfe von Bundeskanzler Karl Nehammer und Außenminister Alexander Schallenberg (beide ÖVP), Serbien dazu bewegen würde, seine Visumspolitik gegenüber Indien zu ändern, wäre das schon etwas. Von indischen Staatsangehörigen kamen zuletzt die meisten Asylanträge in Österreich. Dann müsste er sich dazu überwinden, ein offenes Wort zu sprechen: „Sehr geehrte Mitbürger, liebe Landeshauptleute, wir brauchen einen gemeinsamen Kraftakt für die vielen, die noch aus der Ukraine kommen werden und betreut werden müssen.“

Ob er das schafft? Möglich ist alles, realistisch ist wenig. Karner gehört einer untergehenden Partei an, die Angst vor dem Wähler hat. Die verlernt hat, Überzeugungsarbeit zu leisten und sich daher mit Populistischem begnügt. Das ist auch der Grund dafür, dass nichts Relevantes zu hören ist von der mit Abstand mächtigsten ÖVP-Politikerin, die Karner (aber auch Nehammer) die nötige Rückendeckung für eine andere Politik geben könnte: von Johanna Mikl-Leitner. Die Niederösterreicherin zittert einer Landtagswahl Ende Jänner entgegen.

Johannes Huber

johannes.huber@vn.at

Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.