Das harte Los von Viertklässlern

Reicht’s fürs Gymnasium? Schon ein Zweier kann als Ticket für die AHS einer zu viel sein.
DORNBIRN Michael Wehinger (53) ist ein erfahrener Volksschullehrer. Er mag seinen Beruf, den er an der Volksschule Dornbirn Haselstauden ausübt. Doch jetzt könnte er ihn wieder . . . „Es ist echt schwer“, seufzt der Pädagoge. Da hast du ein Kind in der vierten Klasse, von dem du weißt, dass es absolut gymnasiumsreif ist. Aber in einem der Hauptfächer würde es halt ‘nur’ für einen Zweier reichen. Gleichzeitig weißt du: Gibst du dem Schüler einen Zweier, kommt er ziemlich sicher nicht in seine gewünschte AHS. Was sollst du da machen? Du wirst ihm, wenn es nur irgendwie argumentierbar ist, den Einser geben.“
Wieder einmal stehen bei Wehinger als Vierte Klasse-Lehrer solche Entscheidungen an. Wieder einmal stört ihn das enorm. Zumal er weiß, dass ein Einser nicht an allen Volksschulen der Umgebung dieselbe Wertigkeit hat. Und dass die Gymnasiumsplätze im Bezirk Dornbirn heiß umkämpft sind.“
Kollegin Friederike Mörscher (43) kennt das Dilemma als Lehrerin und Mutter. Sie unterrichtet eine Ganztagsklasse der dritten Schulstufe. „Schon jetzt fragen auch bei mir die Eltern, welche Ziffernnoten ihre Sprösslinge denn bekommen werden. Ich weiß genau, dass sie das auch vor dem Hintergrund der anstehenden Bildungswegentscheidung im kommenden Schuljahr tun.“
Als Mutter hat Mörscher einen Buben in einer anderen Volksschule im Raum Dornbirn. „Ich werde ihm und seiner Lehrerin keinen Druck auferlegen. Ich akzeptiere, was kommt. Doch bei anderern Eltern ist das anders. Das habe ich schon bemerkt.“
Sowohl Wehinger als auch Mörscher sprechen sich dezidiert für eine Gemeinsame Schule aus.
Direktor Jürgen Sprickler (61) ist bezüglich Bildungswegentscheidung in seinem letzten Dienstjahr schon längst desillisioniert. „Dieses Problem mit der Trennung der Schulkinder mit zehn beschäftigt mich schon 40 Jahre. Seit ich als Volksschullehrer angefangen habe.“ Schon damals habe es in der vierten Klasse den Druck für Lehrer und Schüler gegeben. Schon damals hätten gut situierte Eltern ihren klaren Wunsch deponiert, dass ihre Kinder „Gymnasiumsnoten“ bekommen sollten. „Es war mir damals bereits klar, dass am System etwas verändert gehört. Mal gab es mehr Hoffnung, dass sich etwas verändert, mal weniger. Aber Bildungsentscheidungen wurden immer politisch getroffen. Geändert hat sich nichts. Und so kam es nie zur einzig richtigen Lösung, einer Gemeinsamen Schule für Zehn- bis 14-Jährige“, musste Sprickler zur Kenntnis nehmen.
Das Thema brennt
Wünschen würden sich dieses Schulmodell viele. Auch die Industriellenvereinigung hat sich diesbezüglich einmal mehr eindeutig positioniert. „In unserem Strategiepapier ist die Forderung nach einer Gemeinsamen Schule mit einer inneren Differenzierung ein wichtiger Bestandteil. Die Trennung der Kinder kommt zu früh. Das sehen auch unsere Mitglieder genau so“, formuliert IV-Geschäftsführer Christian Zoll (29) die Haltung seiner Organisation.
Geteilt wird diese Forderung vom Elternverband, der offiziellen Vertretung der Schülereltern in Vorarlberg. Sprecher Michael Tagger (59). „Das Thema brennt bei uns, und ich hoffe es kommt wieder Schwung rein in die Diskussion. Gerade jetzt erleben wir wieder die Nachteile des jetzigen Systems an den Volksschulen: Leid, Druck, Stress, verursacht durch den Notendruck. All das könnte man durch eine Gemeinsame Schule verhindern.“
Theorie und Praxis
In Vorarlberg hatte der Landtag im Jahre 2015 mit großer Mehrheit beschlossen, die Empfehlung des damals frischen Forschungsprojekts „Schule der Zehn- bis 14-Jährigen in Vorarlberg) nach einer Gemeinsamen Schule zu unterstützen und eine Modellregion Vorarlberg zu ermöglichen
Es blieb bei einer reinen Absichtserklärung. Zwar hat der Bund die Möglichkeit zur regionalen Umsetzung eines solchen Modells beschlossen, doch sind die Bedingungen dafür kaum realisierbar.
„Wenn‘s nur irgendwie geht, gibst du dem gymnasiumsreifen Kind halt den Einser.“

