Forderung nach Entschuldigung
In heutiger Zeit ist es modern, Entscheidungsträger zur Entschuldigungen für nicht optimale Entscheidungen aufzufordern. Sie sollen sich bei ihren Wählern und Nichtwählern für Coronamaßnahmen und Teuerungswelle, für Energiekrise und Klimawandel, für die Handelsbeziehungen zu Russland oder die Kontakte mit dem damals noch gar nicht so kriegslüsternen Wladimir Putin entschuldigen. Kurzum für alles, wofür man im Nachhinein bessere Lösungen erkennt.
Besonders intensiv wird die Entschuldigungsforderung im Zusammenhang mit der Impfpflicht erhoben. Offensichtlich wollen wir uns nicht mehr erinnern, wie damals Horrormeldungen über überfüllte Intensivstationen die Nachrichten dominiert haben, wie der Schreckbegriff der Triage – das Aussortieren derer, denen die Überlebenstherapie vorenthalten wird – uns alle geängstigt hat, wie völlig erschöpftes Pflegepersonal über ihre Frustrationsgefühle bei der Pflege todkranker Impfverweigerer klagten. Wurde da nicht von wissenschaftlicher Seite beschworen, wie das alles durch Impfungen und Erreichen der Herdenimmunität zu verhindern wäre? Und wie wurde medial die mangelnde Impfdisziplin in Österreich beklagt und etwa das dänische Beispiel mit fast 100-prozentiger Durchimpfungsrate zum Vorbild propagiert.
Echte Entschuldigung als Wunsch nach Schuldbefreiung setzt Schuld voraus. Wenn sie mehr als eine Höflichkeitsformel sein soll, entspricht sie der Bitte um Verzeihung für schädliches und fahrlässiges Verhalten, für absichtliche Fehlhandlungen, für böse Gedanken und verderbliche Pläne. Wofür sollen sich da denn jene, die an das Gute an Putin und seiner damaligen Politik geglaubt und für Mensch und Wirtschaft in unserem Land billiges Gas gekauft haben, denn entschuldigen? Etwa dafür, dass sie in der Coronaverzweiflung dem von der Wissenschaft ausgegebenen Slogan: „Geimpft oder gestorben“ geglaubt haben?
„Echte Entschuldigung als Wunsch nach Schuldbefreiung setzt Schuld voraus.“
Die jetzt so lautstark vorgebrachten Forderungen nach Entschuldigung scheinen ziemlich vordergründig. Sie entspringen weniger einem edlen emotionalen Bedürfnis als vielmehr dem Impuls zur Beschämung anders Denkender und der Projektion eigener Versagensängste. Denn ehrlich gemeinte Entschuldigungsapelle müssten zunächst immer an sich selbst gerichtet sein. Alle hätten genügend Gründe: die Wissenschaft, die Medien, die Politik, ein Großteil der Gesellschaft, jeder einzelne von uns. Entschuldigung als psychohygienischer Faktor ist zu wichtig, um sie in der politischen Propaganda verkommen zu lassen.
Univ.-Prof. Prim. Dr. Reinhard Haller ist Psychiater, Psychotherapeut
und früherer Chefarzt des Krankenhauses Maria Ebene.
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