Smera, ihr geliebter Bruder und die Menschenrechte

Smera Rehman setzt sich als Juristin für geflüchtete Menschen ein. Bruder Omer war ihr Coach und Mentor. Er starb im Vorjahr 49-jährig an einem Herzinfarkt.
Lustenau Smera Rehman (41) wuchs in Lustenau auf. „Hier ist meine Heimat.“ Aber sie hat pakistanische Wurzeln. Ihr Großvater führte ein Textilunternehmen in Pakistan. 1970 schickte er seinen Sohn Abaid zur Ausbildung in die Stickereihochburg Lustenau. Dieser kam mit seiner Ehefrau Seeme nach Vorarlberg. Das Paar blieb im Land, machte sich mit einer Teppichfirma in Lustenau selbstständig und gründete eine Familie. Ein Sohn und vier Töchter wurden den beiden geschenkt. Smera ist die jüngste. Das Nesthäkchen hatte immer eine besondere Verbindung zu ihrem neun Jahre älteren Bruder Omer. „Von klein auf ging ich bei allen Fragen, die ich hatte, zu ihm. Er war mein Coach und mein Mentor.“ Mit Liebe begleitete Omer sie auf ihrem Lebensweg. „Ohne ihn wäre ich heute wahrscheinlich nicht da, wo ich bin“, glaubt Smera.

Die Lustenauerin brachte es beruflich weit. Nach der Hak-Matura ging sie nach London, um EU-Recht zu studieren. Bereits als Studentin sah sie sich beruflich in einer Position, wo sie sich für Menschen und ihre Rechte einsetzen kann. „Ich wollte Hilfsbedürftigen helfen und direkt in Berührung mit ihnen kommen.“ Aber fern der Heimat überkam sie großes Heimweh. “Ich wollte zurück nach Hause.” Doch Omer riet ihr, in London zu bleiben. “Er sagte zu mir: ,Aller Anfang ist schwer. Du wirst sehen, es wird erfüllend für dich sein. Du wirst ein neues Land kennenlernen, neue Menschen und andere Kulturen.'” Smera hörte auf ihren großen Bruder und legte sich mächtig ins Zeug. Innerhalb von vier Jahren schloss sie das Studium mit dem Master of Laws in England ab. “Meine Familie war stolz auf mich.”

2004 kehrte die Juristin nach Österreich zurück und begann in Wien, wo ihr Bruder unternehmerisch tätig war, in einer Wirtschaftskanzlei zu arbeiten. Ihr Schwerpunkt: Vertragsrecht. “Meine Berufung war das nicht. Ich wollte etwas für Menschen machen, mich für ihre Rechte einsetzen. Deshalb zog es mich zur UNO (Vereinte Nationen). Aber ich wusste, dass es dort schwer ist, einen Job zu ergattern.” Ihr Bruder bestärkte sie in ihrer Idee, ein einjähriges unbezahltes Praktikum bei den Vereinten Nationen zu machen. “Dann hast du einen Fuß drinnen”, meinte er. Mit dem Praktikum wurde für Smera ein Traum wahr. “Ich befasste mich mit Drogen- und Kriminalitätsbekämpfung, war für Westzentralasien zuständig, weil ich die sozialpolitische Lage in diesen Ländern kannte.”

Ihre internationale Ausbildung und ihre Sprachkenntnisse – Smera spricht neben Deutsch auch Englisch und Urdu, die Nationalsprache Pakistans – gereichten ihr zum Vorteil, als das Außenministerium eine Position bei den Vereinten Nationen ausschrieb. “Ich bewarb mich und wurde aus mehreren Hundert Bewerbern ausgewählt.” Smera wurde nach Islamabad geschickt. “Es waren zwei wunderbare Jahre. Ich habe ein Projekt geleitet zu Menschen- und Frauenrechten und zur Bekämpfung von Menschenhandel.” Als sie nach zwei Jahren aus Pakistan zurückkehrte, bekam sie eine fixe Anstellung bei der UNO. “Ich war für Projekte zum Thema Menschenhandel, Ehrenmorde und traditionsbedingte Gewalt in Westzentralasien zuständig.” Später führte sie die Arbeit bei den Vereinten Nationen für ein Jahr nach Katar, wo sie in Doha ein UNO-Büro aufbaute.

Als sie im Jahr 2013 zum ersten Mal Mutter wurde, kehrte Smera, die mit einem Engländer mit pakistanischen Wurzeln verheiratet ist, nach Lustenau zurück. “Mir war wichtig, dass meine Kinder in einer schönen Umgebung und in der Nähe meiner Familie aufwachsen.” Es fiel ihr nicht leicht, der UNO den Rücken zu kehren, aber sie bereut den Schritt nicht. Denn die Mutter zweier Söhne hat heute wieder einen Job, der sie erfüllt und in dem sie direkt mit Menschen zu tun hat. Sie arbeitet als Rechtsberaterin für eine Schweizer Non-Profit-Organisation, die die juristische Vertretung und Beratung von Geflüchteten und Asylsuchenden übernimmt. “Es gibt mir viel, mich für die Verletzlichsten einer Gesellschaft einzusetzen. Abends gehe ich mit dem guten Gefühl heim, einen Menschen unterstützt zu haben.” Außerdem ist Smera noch als externe Dozentin an der Fachhochschule Vorarlberg tätig. “Ich halte Vorlesungen zum Thema Menschenrechte und Menschenwürde. Auch da finde ich mich wieder.”

Ihren Bruder Omer beeindruckte es, “dass ich für mich den Weg der Menschenrechte fand”. Seit Oktober des Vorjahres muss Smera, die auch als Integrationsbotschafterin an Schulen geht und Schüler anhand ihres eigenen Werdegangs motiviert, ihren Weg aber ohne ihren geliebten Bruder gehen. Denn am 24. Oktober 2022 starb Omer 49-jährig bei einem Trainingsspiel der Altherren des FC Lustenau. Sein Herz hatte plötzlich zu schlagen aufgehört. “Omer war mein großes Vorbild. Er war ein Macher und hat sich bis zuletzt für Menschen in seinem sozialen Umfeld eingesetzt.” Omer ist nicht mehr da. “Aber er inspiriert mich jeden Tag. Denn seine Werte leben weiter: Hilfsbereitschaft, Toleranz und Anpassungsfähigkeit.”
Smera Rehman
geboren 14. Jänner 1982 in Hohenems
Wohnort Lustenau
Familie verheiratet, zwei Söhne
Hobbys Pilates, Reisen, Kochen