Auf Mindestbedarf verständigen

Lehrer-Werber Heiko Richter sieht beim Lehrermangel erst mittelfristig Entspannung.
Bregenz Er leitet das Sonderprojekt „Arbeitsplatz Schule“ der Bildungsdirektion Vorarlberg und sollte möglichst schnell möglichst viele Lehrer für das völlig ausgetrocknete Personalreservoir im Land rekrutieren. Der 51-jährige Bildungswissenschaftler Heiko Richter kämpft mit seinem Team an vielen Fronten. Sein aktueller Befund ist ehrlich: „Wir mussten uns mit den Schulen auf einen Mindestbedarf verständigen. Ausfälle während des Schuljahres sind immer schwerer zu kompensieren.“ Entspannung an der Personalfront sieht er mittelfristig.
Welche Bilanz ziehen Sie nach gut einem Jahr „Arbeitsplatz Schule“?
Richter Meine Bilanz fällt sehr positiv aus. Ich wurde rundherum mit viel Wertschätzung aufgenommen und habe positive Rückmeldungen von Direktorinnen und Direktoren sowie Lehrpersonen erhalten. Ich habe zunächst sehr viele Gespräche geführt, um die geplanten Aktivitäten und Maßnahmen zu besprechen, aber auch um neue Ideen von Schulen und Systempartnern aufzunehmen. Aber ich bin nicht nur für die Planung und Umsetzung verantwortlich, ich berate Interessenten auch täglich selbst.
Welche Maßnahme hat sich bei der Akquirierung von Lehrkräften gut bewährt, welche weniger?
Richter Ich habe heuer gemeinsam mit den PH-VertreterInnen alle Maturaklassen besucht, um dort Werbung für den Lehrberuf und das Lehramtsstudium zu machen. Dabei konnten wir großes Interesse wahrnehmen. Als größten Erfolg sehe ich das Programm „Students Teach Students“ (STS), bei dem wir 84 SchlüerInnen der siebten Klasse AHS und des vierten Jahrganges BHS in drei Modulen eine Einführung zur Unterrichtsplanung und ein Schnupperpraktikum an einer Pflichtschule ermöglicht haben. Die Begeisterung war groß. 80 Prozent der TeilnehmerInnen haben sich entschlossen geäußert, später ein Lehramtsstudium zu starten. Nicht ganz so erfolgreich waren unsere Bemühungen, pensionierte Lehrkräfte für den Schuldienst zu reaktivieren. Nur bei fünf Personen ist uns das für das nächste Schuljahr gelungen. Dennoch wollen wir an dieser Zielgruppe weiter dranbleiben.
Welche Personengruppe können Sie mit Ihrer Werbekampagne am besten ansprechen?
Richter Eine Werbekampagne kann immer nur das grundsätzliche Interesse wecken. Man wird auf die Lehrersuche in Vorarlberg aufmerksam und informiert sich zuerst auf unserer Homepage. Am besten können wir dann anschließend im direkten Kontakt punkten. Dazu wurde ein eigenes Welcome Center unter meiner Leitung aufgebaut. Selbstverständlich besteht bei QuereinsteigerInnen ein viel höherer Informationsbedarf als etwa bei Lehrpersonen aus anderen Bundesländern. Die sind mit dem System grundsätzlich schon vertraut.
Welche Fragen sind für Interessenten die vordringlichsten?
Richter Die Palette an Fragen ist sehr breit und hängt vom Hintergrund der Interessenten ab. Bei neu Hinzugezogenen sind es auch Fragen zur Wohnungssuche, Infrastruktur oder Kinderbetreuung. Der Großteil dreht sich allerdings um den Bewerbungs-und Anstellungsprozess, den Dienstvertrag, das Gehalt, die Anrechenbarkeit von Vordienstzeiten oder die Tätigkeit als Lehrperson im Allgemeinen.
Der Lehrermangel wird immer dramatischer. Vor allem an Volksschulen. Wie lockt man am besten Volksschullehrer?
Richter Im Rahmen des erwähnten STS-Programms sind schon viele Volksschulen als Partnerschulen dabei. Diese Direktkontakte und Schnuppermöglichkeiten sind ganz wichtig, um junge Menschen für den Beruf und ein Studium zu begeistern. Bei QuereinsteigerInnen oder Lehrpersonen aus anderen Bundesländern werden die von uns gesetzten Werbemaßnahmen wahrgenommen. Auch die Betreuung schon im Vorfeld einer Bewerbung durch das Welcome Center wird geschätzt. Und ganz viel passiert auch über Mundpropaganda durch Personen, die diesen Schritt bereits gewagt haben und Einblicke in das Schulleben, die Schulgemeinschaft und den Unterricht geben. Hier überlegen wir auch, konkrete Schulbesuche anzubieten und die tolle Arbeit an den Volksschulen noch mehr in den Fokus zu rücken.
Wann zeigen die genannten Maßnahmen Wirkung. Wird sich die Situation in einem Jahr entspannen?
Richter Ehrlich gesagt: Kurzfristig ist das schwierig. Aber mittelfristig, glaube ich, wird sich die Situation entspannen.
Es gibt Diskussionen über diverse Zuckerl für Bewerber außerhalb Vorarlbergs: Klimaticket, Wohnungszuschuss und anderes. Wie ist das gegenüber hier ansässigen Lehrern zu rechtfertigen?
Richter Man muss einfach sehen, dass die Verlagerung des Lebensmittelpunkts für Lehrpersonen aus anderen Bundesländern mit viel Aufwand verbunden ist. Es gilt eine Wohnung zu finden, neue Kontakte aufzubauen, sich in einem neuen beruflichen und privaten Umfeld zurechtzufinden. Gleichzeitig gibt es Familie und Freunde in der Heimat, die besucht werden möchten. Auch die im Vergleich zu anderen Bundesländern hohen Lebenshaltungskosten in Vorarlberg sind nicht unbedingt ein Anreizmittel. Von daher finde ich diese Boni durchaus gerechtfertigt.
Wie sehr spüren Sie den Druck aufgrund der immer prekärer werdenden Personalsituation?
Richter Die vergangenen Jahre waren schon sehr schwierig bei den Stellenbesetzungen an den Pflichtschulen. Heuer hat sich das leider aufgrund einer geringeren Zahl an BewerberInnen nochmals verschärft. Wir müssen uns daher mit den Schulen auf einen Mindestbedarf verständigen. Das hat es noch nie gegeben. Gemeinsam ist es nun allerdings gelungen, diesen Mindestbedarf weitgehend zu erfüllen. Für etwa 20 offene Stellen wird über den Sommer noch an Lösungen gearbeitet. Das bedeutet allerdings auch, dass Ausfälle während des Schuljahres immer schwerer zu kompensieren sind und nur mit Überstunden abgedeckt werden können. Das ist eine zusätzliche Belastung für die Lehrpersonen.
Wo werden Sie im kommenden Schuljahr ganz besonders die Hebel ansetzen?
Richter Ich möchte weiterhin alle Zielgruppen im Blick behalten. Es ist wichtig, die verschiedenen Maßnahmen konsequent fortzuführen und gleichzeitig neue Bereiche mitzudenken. Dazu gehören deutschsprachige Lehrpersonen und QuereinsteigerInnen im nahegelegenen Ausland. Gerade in einigen osteuropäischen Ländern gibt es exzellente deutschsprachige Schulen mit sehr guten AbsolventInnen oder Lehrpersonen, die in Vorarlberg unterrichten könnten. In Planung ist auch ein Förderprojekt für Bedarfsregionen, wo der LehrerInnenmangel besonders ausgeprägt ist.