Warum bist Du so traurig?

„Du siehst so traurig aus. Was ist mit dir?“ Das fragt der Mann seine Frau, wenn er am Abend nach Hause kommt. „Was ist mit dir? Hat dich jemand gekränkt?“
Sie ist nicht frisiert, trägt immer noch den Morgenmantel. „Nichts“, sagt sie, „es ist nichts, alles wie immer.“
„Ich seh dir doch an, dass etwas mit dir ist. Sag es mir.“
„Es ist wie immer.“
„Wenn du meinst“, sagt der Mann, und er schaut sie an und sieht, dass sie feuchte Augen hat. Er tut so, als hätte er es nicht bemerkt.
Die Frau geht zur Spüle, gießt das Nudelwasser in das Sieb, richtet die Nudeln an, reibt Parmesan.
Obwohl der Mann weiß, dass seine Frau zu Depressionen neigt, will er es nicht wahrhaben.
„Also komm“, sagt der Mann“, setz dich auf meinen Schoß.“
Sie dreht sich weg. Er zieht sie zu sich.
„Ich war noch nicht im Bad“, sagt sie. „Lass mich!“
„Du weinst“, sagt der Mann.
„Es ist nur der Dampf vom Nudelwasser, ich weine nicht.“
Diese Szene wiederholt sich in Abständen in diesem Haushalt. Obwohl der Mann weiß, dass seine Frau zu Depressionen neigt, will er es nicht wahrhaben. Er versucht, sie aufzuheitern. Macht Späße. Zieht ein Gesicht. Schaut wie ein Hund. Bellt wie ein Hund.
Sie lacht nicht. Sieht nicht, dass er sie ablenken will.
Kurz braust er auf: „Tust du das extra? Willst du mich fertig machen?“
Sie schüttelt den Kopf. Sie bewegt sich automatisch, man könnte meinen, sie geht an einer Leine. Er liebt seine Frau, gewiss. Aber sie geht ihm in diesem Zustand auf die Nerven. Er steht nach dem Essen auf, räumt seinen Teller weg und sagt: „Ich geh noch einen Sprung.“
„Geh nur“, sagt sie.
„Und wenn ich nicht wieder komme?“, fragt er. „Macht dir das etwas aus. Würdest du überhaupt merken, wenn ich nicht mehr wiederkomme?“
Er geht. Sie sitzt vor ihren Nudeln. Sie fühlt nichts. Sie denkt nichts. Es wird vorbeigehen.
Es ist immer vorbeigegangen. Der Mann wird nach Mitternacht heimkommen, wird ganz leise sein. Sie wird ihn hören, aber so tun, als schlafe sie. Er weiß es.
Er sagt: „Ich weiß, dass du wach bist. Hast du auf mich gewartet?“
Sie macht die Augen nicht auf. Wenn sie einen Grund hätte, traurig zu sein, er würde es verstehen. Er will mit ihr zum Arzt gehen. Jedes Mal. Und jedes Mal sagt sie. „Ich brauche keinen Arzt. Es geht vorbei. Es ist immer vorbeigegangen.“
„Ich halte das aber nicht mehr aus“, sagt der Mann. Er redet lauter als sonst, er schüttelt sie an den Schultern.
„Hab Geduld“, sagt sie, „bald ist es vorbei.“
„Nein sagt er, nicht bald! Jetzt ist es vorbei!“
Sie weiß, das sagt er jedes Mal, und dann kommt er doch wieder. Er ist mein Mann, denkt sie, er muss wiederkommen.
Monika Helfer
monika.helfer@vn.at
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.