Vom Krieg zur eigenen Pizzeria in Feldkirch: Die bewegende Geschichte von Vehbi Pllana

Vehbi Pllana war ein Teenager, als er vor den Kriegswirren im Kosovo flüchten musste.
FELDKIRCH, KOBLACH Überstürzt, ohne Abschied, ohne seine Habseligkeiten mitzunehmen: So verlässt niemand freiwillig seine Heimat. Vehbi Pllanas Geschichte erinnert daran, wie wichtig es ist, Menschen, die vor Krieg und Gewalt fliehen, dabei zu unterstützen, ein Leben in Frieden zu finden.

Der Kosovo-Albaner kommt am 18. August 1982 zur Welt und wächst mit seiner Mutter, einem Bruder und drei Schwestern in einem Vorort von Vushtrri, einer Stadt im Norden des Kosovo, auf. Sein Vater lebt als Gastarbeiter in Vorarlberg. Zu jenem Zeitpunkt ist der Kosovo noch eine autonome Provinz Jugoslawiens, in der es seit dem Tod des Staatspräsidenten Josip Broz Tito – er starb am 4. Mai 1980 – gewaltig brodelt. Unruhen und Proteste gegen die Diskriminierung der albanischen Bevölkerung durch die jugoslawische Regierung verschärfen die Spannungen im Land. Vehbi Pllana bekommt in seiner Kindheit wenig davon mit.
Das ändert sich mit dem Kriegsbeginn im Jänner 1998. Vehbi ist 15 und in der achten Klasse Grundschule. Am 17. April 1998 eilt ihm auf dem Heimweg von der Schule seine Mutter entgegen: „Aufgeregt sagte sie, dass wir den Kosovo verlassen müssen und zu meinem Vater nach Vorarlberg gehen.“ Die Maschine nach Zürich startet zwar erst am nächsten Morgen, „aber wir mussten sofort zum Flughafen nach Prishtina fahren“. Daheim packen Mutter und Sohn hastig die allernötigsten Sachen zusammen und nehmen den Bus in die Hauptstadt.

Seine Schwester Fikrije darf nicht mit. Weil sie, im Unterschied zu Vehbi, volljährig ist, bekommt sie kein Visum für Österreich. Sein Bruder Avni ist längst beim Vater, zwei Schwestern leben in Deutschland. „Für die Mutter war es furchtbar, Fikrije allein zurückzulassen. Aber sie hatte keine Wahl“, stellt Vehbi klar. „Seit der Krieg angefangen hat, warteten wir darauf, dass serbische Sonderpolizisten uns holen und töten. Wir konnten nicht mehr schlafen. Wir hatten Angst. Immer.“
Am Flughafen lassen Vehbi und seine Mutter penible Kontrollen über sich ergehen, bis sie endlich im Flieger sitzen. Erst nach der Ankunft in Zürich, als der Vater und der Bruder die beiden Geflüchteten abholen und in ihre Wohnung nach Dornbirn bringen, lässt die Angst nach. Dennoch habe er am Anfang des neuen Lebens im fremden Land oft geweint, bekennt Vehbi: „Ich hatte Heimweh. Ich wollte nicht weg von dort. Ich konnte mich nicht einmal von meinen Freunden verabschieden.“

Neue Freunde findet er in der HTL, die er ab September 1998 besucht. Aufgrund der noch geringen Sprachkenntnisse – „Deutsch lernen war das Schwierigste für mich“ – schließt er das erste HTL-Schuljahr ohne Notengebung ab und wiederholt die Klasse. Nach der zweiten Klasse hört er auf. Der 18-Jährige will arbeiten, er will die Eltern unterstützen: „Mein Vater war Alleinverdiener.“ Er nimmt einen Job in einer Pizzeria in Bregenz an. Dort wird ihm der italienische Name Angelo verpasst. „Vehbi kann man sich so schwer merken“, begründet er.
Nach einer Zwischenstation in der Pizzeria, die sein Bruder in Dalaas aufgemacht hat, legt sich Vehbi ein eigenes Lokal in Feldkirch zu: Die Pizzeria „Verona Due“. Hier sitzt er nun, 20 Jahre später, an einem Tisch im oberen Stock und kehrt sichtlich bewegt in seine Vergangenheit zurück. Zwischenzeitlich ist die Mutter gestorben und der Vater zu ihm ins Eigenheim nach Koblach gezogen, erzählt er weiter, „und auch Fikrije ist nach Vorarlberg gekommen“. Sie arbeitet bei ihm als Servicekraft. Und er hat eine Familie gegründet. Seit 2007 ist er mit Fatbardha verheiratet – auch sie stammt aus Vushtrri – und im Zweijahrestakt Vater von drei Töchtern geworden: Malvesa (2009), Lorela (2011), Armira (2013).
Die Leitung des Gastronomiebetriebs und die Immobilienfirma MLA, die er 2019 mit seiner Frau als zweites Standbein gegründet hat, lässt ihm wenig Zeit fürs Familienleben. Darum hat Vehbi den Montag, wenn das „Verona Due“ geschlossen hat, zum „Familien- und Kosovotag“ erklärt: „Montags hole ich die Kinder von der Schule ab. Dann wird zu Hause kosovarisch gekocht, wir essen zusammen und unternehmen danach etwas.“

Es sei eine sehr gute Entscheidung gewesen, hierher zu kommen, resümiert Vehbi Pllana. „Vorarlberg ist meine Heimat.“ Einmal im Jahr fährt er nach Vushtrri. Besucht Verwandte. Außerdem hat der Vater dort wieder ein Haus gebaut, nachdem dessen Elternhaus im Krieg niedergebrannt wurde.
Immer noch Heimweh? „Nein. Jetzt sehne ich mich nach Vorarlberg, wenn ich in Vushtrri bin“, sagt Vehbi. „Mein Leben spielt sich seit 25 Jahren hier ab.“