Reinhard Haller

Kommentar

Reinhard Haller

Stinknormal

Vorarlberg / 09.08.2023 • 16:15 Uhr

Die heurige, an Skurrilität und Überflüssigkeit schwer zu überbietende Sommerlochdebatte hat zu einer Verunsicherung all jener geführt, die sich als normal denkend gewähnt und den Ausdruck „normal“ ganz normal verwendet haben.

Darf man das Wort „normal“ überhaupt noch in den Mund nehmen oder ist es bereits diskriminierend? Sind wir bereits abnormal, wenn wir uns normal fühlen? Ist Normalität ein krankhafter Zustand und sind die Verrückten die eigentlich Normalen? All dies ließe sich klären, wenn uns die Diskutanten wissen ließen, auf welchen Normalitätsbegriff sie sich beziehen. Ist es der statistische, der völlig neutral und keineswegs entwertend ist? Meinen sie den medizinischen, der Gesundes von Krankem unterscheidet, aber nicht im Geringsten ausgrenzt? Der idealistische taugt nicht, weil dort das Abnormale sogar als genial gilt. Wenn nun die Begrifflichkeiten fröhlich vertauscht werden, kann man das Normale beliebig als gesund oder krank, als verbindend oder ausgrenzend, als pathologisch oder brandgefährlich verkaufen. Ohne entsprechende Klarstellung wird eine abnormal unsachliche Diskussionskultur wieder einmal zur österreichischen Normalität.

„Ist Normalität ein krankhafter Zustand und sind die Verrückten die eigentlich Normalen?“


Im psychologischen Bereich wird das Normale nur bei einem einzigen Störungsbild als problematisch eingestuft, für das man den im Gegensatz zum Psychopathen stehenden herrlichen Ausdruck „Normopath“ geprägt hat. Darunter versteht man Menschen, die unter einengender Durchschnittlichkeit, bedrückender Überanpassung und übersteigerter Konformität, also unter dem Normalitätszwang leiden. Im Volksmund sagt man bezeichnenderweise „stinknormal“ dazu. Wollte man seine Gegner wirklich treffen, müsste man sie als Normopathen beschimpfen.

Lösungsvorschlag mit Augenzwinkern: Ersetzen wir österreichweit den in Verruf geratenen Ausdruck „normal“ einfach durch das weniger ausgrenzende alemannische Wort „ghörig“. Wenn alles der gesellschaftlichen Norm hörig ist, gibt es weder Diskriminierung noch Spaltung: Man soll immer „ghörig tua“, also sich prosozial verhalten, soll ghörig schaffen und ghörig feiern. Man sucht einen ghörigen Partner und wählt ghörige Politiker. Bei psychischer Auffälligkeit ist man nicht abnormal, sondern nicht ganz ghörig im Kopf. Mit ghörig statt normal könnte man wieder ghörig seine Meinung äußern, ließe es sich den andern ghörig hineinsagen, könnte man ghörig politisieren und sich wieder den ghörigen Problemen widmen. Die Diskussionskultur in unserem Land hätte dann endlich ein ghöriges Niveau.