Wie ein Herz bricht

Er arbeitete in der gleichen Firma, in einer höheren Position. Seine Anzüge waren tadellos, seine Hände fein, seine Erscheinung vornehm. Seit einem Jahr war Elvira in ihn verliebt, verschossen, wie man bei uns sagt. Als sie ihn das erste Mal sah, war es tatsächlich wie ein Schuss in ihr Herz gewesen. Sie war nicht schön, falsch ihre Proportionen, so als hätte sie ein vierjähriges Kind gemalt. Aber sie war klug, und sie konnte „gescheit daherreden“ – sagte ihr Vater. Das klang abschätzig und war ungerecht. Elvira wäre als Mann an jedem Tisch ein erwünschter Gesprächspartner gewesen.
Der Mann in der höheren Position hatte sie eines Tages zu sich gebeten – zu einem Arbeitsgespräch. Bis dahin hatten sie einander nicht wahrgenommen. In der Forschungsabteilung war sie bekannt für ihr umfassendes Wissen. Das war ihm zugetragen worden. So war der Schuss ins Herz geschehen. Sie musste sich vorbeugen, als hätte sie einen Bauchkrampf, wollte aber so tun, als wäre alles in bester Ordnung.
Er war begeistert. Von ihrem Wissen. Von ihrer Art. Er beantragte, dass sie in seine Abteilung versetzt wurde.
Er zog einen Stuhl heran. „Atmen Sie tief durch“, sagte er und schaute ihr in die Augen. Er war besorgt.
Dann sprachen sie über ein Thema, bei dem sie sich besser auskannte als er. Er war begeistert. Von ihrem Wissen. Von ihrer Art. Er beantragte, dass sie in seine Abteilung versetzt wurde. Sie arbeitete wie eine geölte Maschine. Niemals sah sie auf die Uhr.
Einmal brachte er eine Zimmerlinde mit und stellte sie an ihr Fenster.
„Achten Sie auf die feinen Härchen“, sagte er und zeigte auf ein vom Sonnenlicht erleuchtetes Blatt. „Sie verträgt keinen Durchzug, mir geht es ebenso. Ich finde, die Pflanze passt zu Ihnen.“ – Ein Ding, das wie er war, passte zu ihr …
Künftig richtete sich Elvira eine Garderobe zusammen, die zu seinen Anzügen passte. Er lud sie zum Essen ein. Und dann noch einmal. In das gleiche Lokal. Sie saßen am selben Tisch. Es war bereits ihr Tisch. Es folgte ein Theaterbesuch. Dann ein Opernbesuch. Sie bereitete sich vor. Las Inhaltsangaben im Wikipedia, formulierte um, wenn sie darüber sprachen. Immer interessanter erschien sie ihm. Musste eine Frau unbedingt gut aussehen? Ihre Klugheit machte sie schön. Das redete er sich ein. Außerdem könnte sie ihm nützlich sein. Er ertappte sich in verschiedensten Situationen dabei, dass er an sie dachte, beim Rasieren, in der Badewanne, an der roten Ampel.
Er beschloss, ihr einen Antrag zu machen. Sie zitterte und nahm an. Er brach ihr das Herz. Bereits nach einem Jahr.
Monika Helfer
monika.helfer@vn.at
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.