Zur Fristenregelung
In den vergangenen 50 Jahren ist nicht alles schlechter geworden. Ganz im Gegenteil. Die Liste der Verbesserungen ist lang. Sie bleibt es auch, wenn man sie auf gesellschaftliche Dimensionen beschränkt: Der Wohlstand ist ebenso gestiegen wie die Lebenserwartung. Oder: Paare heiraten heute später, Frauen sind im Schnitt immerhin schon 30 Jahre alt, wenn sie ihr erstes Kind zur Welt bringen.
Für beides gibt es absolut erfreuliche Erklärungen. Unter anderem: Eine Eheschließung erfolgt nicht mehr so sehr, weil es sein muss und man sich sonst vielleicht Spekulationen aussetzt, wonach irgendetwas nicht stimmen könnte; es handelt sich viel eher um eine freie, gut überlegte Entscheidung. Lebenserfahrung, die davor gesammelt wird, ist dem Ganzen nur zuträglich. Das kommt nicht zuletzt auch dadurch zum Ausdruck, dass die Scheidungsrate seit einigen Jahren sinkt.
„Das ist gegen die Frauen gerichtet. Man nimmt in Kauf, es zu vielen noch schwerer zu machen, als sie es ohnehin schon haben.“
So ähnlich ist es bei der Familienplanung. Auch das ist etwas Wohlüberlegtes, Selbstbestimmtes. Frauen bringen ihr erstes Kind daher weniger denn je zum erstmöglichen Zeitpunkt zur Welt, sondern dann, wenn sie sich reif dafür fühlen. Augenzwinkernd könnte man hinzufügen, dass man das dann auch beim Umgang mit dem oder der Heranwachsenden merkt. Stichwort „Helikoptereltern“, die darauf achten, dass ihr Sohn oder ihre Tochter nicht dem geringsten Risiko ausgesetzt ist, weder in der Sandkiste noch sonst wo; dass sie es vielleicht sogar übertreiben. Aber das ist eine andere Geschichte.
Vor solchen Hintergründen sollte es heute, ein halbes Jahrhundert nach Beschlussfassung der Fristenregelung am 29. November 1972, selbstverständlich sein, dass ein Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate nach dem Beginn der Schwangerschaft nicht bloß straffrei, sondern ausdrücklich erlaubt ist; dass er nicht nur in einigen Bundesländern in öffentlichen Spitälern angeboten wird, sondern zum Beispiel auch in Vorarlberg; und dass die finanziellen Möglichkeiten der Frau dabei belanglos sind, also keine Kosten anfallen.
Zu behaupten, dass Abtreibungen dadurch gefördert werden könnten, wäre zynisch. Sehr viel spricht wie eingangs erwähnt dafür, dass das Verantwortungsbewusstsein in Bezug auf Leben beträchtlich ist; dass die Wahrscheinlichkeit für eine ungewollte Schwangerschaft in den vergangenen Jahren gesunken ist. Abgesehen davon haben Frauen noch nie leichtfertig abgetrieben. Und im Übrigen kann man ihre Selbstbestimmtheit nicht unter ferner liefen abhandeln. Sie hat Priorität. Vor allem auch, weil es Schwangerschaften geben kann, die unter Umständen zustande gekommen sind, die man sich gar nicht vorstellen mag. Gegen den Willen der Frau.
Was noch dafür spricht, Schwangerschaftsabbrüche nach eingehender Beratung in zumindest einem öffentlichen Spital in Vorarlberg zu ermöglichen, ist Folgendes: Es wäre ein klares Bekenntnis dazu, sie und damit das Schicksal der Frauen nicht mehr länger zu verdrängen; sie als etwas darzustellen, was in einem Graubereich irgendwie geduldet, im Grunde genommen jedoch geächtet wird. Das ist gegen die Frauen gerichtet. Man nimmt in Kauf, es zu vielen noch schwerer zu machen, als sie es ohnehin schon haben.
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